Nach längerer Zeit gibt’s heute mal wieder ein Interview mit einem besonderen PERRY RHODAN-Fan. Helmuth hat mir nicht nur Fragen zu seiner Rolle als Leser der Serie beantwortet. Er plaudert darüber hinaus über seine Lebenserinnerungen, die bis in die 1930er-Jahre des vorherigen Jahrhunderts zurückreichen. Denn Helmuth ist 93 Jahre alt – und steht immer noch voll im Leben.
Viel Spaß beim Lesen!
Helmuth, Du bist langjähriger PERRY RHODAN-Leser. Wie lange bist Du denn schon mit dabei?
Ich lese die Serie allwöchentlich seit etwa Anfang 1962, so circa ab Heft 30 – 40. Mein Schwager gab mir ein, zwei Romane zu lesen, uns beiden gefiel es und so kauften wir auf Flohmärkten die fehlenden ersten Hefte nach und sind beziehungsweise waren sozusagen seit Anbeginn mit dabei.
Unser Kontakt kam zustande, weil Du einen Leserbrief an die PERRY-Redaktion geschrieben hattest, in dem es eigentlich um einen meiner Romane ging. Nebstbei kam heraus, dass Du wie ich Wiener und nicht mehr ganz sooo jugendliche 93 Jahre alt bist. Erzähl doch bitte ein wenig über Dein Leben …
Na ja, über 93 Jahre »ein wenig« zu erzählen ist nicht ganz einfach, aber ich will es versuchen.
Geboren 1930 in Wien, also in der Ersten Republik, in eine Beamtenfamilie. Beide Eltern waren bei der Bahn. Wir wohnten und ich wohne heute noch im 9. Bezirk. Den Einmarsch der Deutschen 1938 bekam ich damals mit meinen sieben Jahren noch nicht so richtig mit. Das kam erst später, als ich 1940 in das Humanistische Gymnasium Wien 3 eintrat. Ich musste meine Zugehörigkeit zum Deutschen Jungvolk (DJ) nachweisen.
Wie ich diese Hürde umschiffen konnte, ist eine eigene Geschichte, die wahrscheinlich nur in Wien möglich war. Sie zu schildern würde zu viel Platz beanspruchen.
Mein Vater war 1939 gestorben, meine Mutter war berufstätig und ich wurde mit meiner Schule im Spätherbst 1943 in die Hohe Tatra verlegt (im Rahmen der »Kinderlandverschickung« – KLV). 1944 im Frühjahr kam ich zurück nach Wien, weil man schon den russischen Kanonendonner hörte. Herbst 1944 kam es zu einer weiten KLV nach Ysper in Niederösterreich. Das Lager wurde im April 1945 aufgelöst (nach meiner Einschulung an der Panzerfaust zur Vernichtung der russischen Panzerstreitmacht).
Mit meiner Mutter, die in Melk bei ihrem Bruder gelebt hatte, gelangte ich mit einem Flüchtlingstransport bis nach Bregenz, wir wurden an einen Bergbauernhof oberhalb von Schwarzach zugeteilt. Wir wollten aber so schnell wie möglich wieder heim.
Im September 1945 begann dann das Abenteuer Heimfahrt mit Stationen in Salzburg und Linz, wo ich einen Monat das Gymnasium besuchte. Dann endlich gelang die Rückkehr nach Wien. Es ging alles gut, weil wir im amerikanischen Sektor Wiens wohnten. (Anmerkung: Ganz Österreich war bis 1955 in eine amerikanische, eine russische, eine französische und eine britische Zone aufgeteilt. Die Stadt Wien war ebenfalls viergeteilt, nur der Erste Bezirk wurde von den vier Besatzungsmächten gemeinsam verwaltet.)
Die Wohnung war allerdings weg, sie war aus dem Beutegut der Roten Armee an einen Kommunisten übergeben worden. Erst Jahre später erhielten wir sie zurück, in der Zwischenzeit wohnten wir bei Verwandten.
Ab der 6. Klasse war ich im Wasagymnasium und habe dort 1948 maturiert.
Im Dezember 1948 war mein Dienstbeginn in der Generaldirektion für die Post- und Telegraphen-Verwaltung in der Buchhaltung. 1956 kam es zu einem Wechsel in das Bundesministerium für Landesverteidigung, ebenfalls in der Buchhaltung. Bei der Post hatte ich grenzenlose Langeweile, im Ministerium war ich mit einem Intrigantenstadl sondergleichen konfrontiert, daher wollte ich dort so rasch wie möglich wieder weg.
1965 gelang mir der Wechsel in den Rechnungshof, Abteilung Straßenbau. Ich hatte erstklassige Chefs, Mitarbeiter und ein hochinteressantes Prüfgebiet. Ich hatte eine selbständige und verantwortungsvolle Tätigkeit. Also blieb ich 25 Jahre bis zu meiner Pensionierung. 1985 erhielt ich das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 1990 kam es zur Verleihung des Berufstitels »Hofrat« durch den Herrn Bundespräsidenten.
Meine Hobbies waren Fußball und Schifahren bis 2007 sowie Tennis. Ab 1998 war ich viel auf Reisen. Schon in meiner Kindheit war ich von fernen Ländern fasziniert gewesen. Kaum konnte ich lesen, schmökerte ich in meinen Karl May–Büchern, vor allem in denen, die im Orient spielten. Und diese Liebe konnte ich nun ausleben. Meine Ziele lagen in Nordafrika und im Vorderen Orient, bis nach Usbekistan. Außerdem bereiste ich mit meiner Frau fast ganz Europa, allerdings immer über Reisebüros. Alleine trauten wir uns wegen des Alters nicht mehr.
Ach ja: 1961 waren wir mit meiner Frau, Schwägerin und Schwager mit dem VW-Käfer vier Wochen durch Spanien gefahren.
Seit 1957 bin ich mit meiner zweiten Frau Marianne verheiratet, 2022 haben wir Diamantene Hochzeit gefeiert – und ich liebe sie noch immer sehr. Ich habe eine Tochter aus erster Ehe, 1968 kam es zur Adoption eines zweijährigen Sohnes. Ich habe einen Enkel und zwei Urenkel, alles Buben.
Wenn ich unsere bisherige Mail-Korrespondenz durchlese, habe ich nie das Gefühl, Dein Alter zu »spüren«. Vor allem fühle ich eine sehr, sehr positive Lebenseinstellung. Wie hältst Du Dich fit und wie hast Du Dir diese Einstellung bewahrt?
Du hast mir ein ganz großes Kompliment damit gemacht, dass Du mein biologisches Alter nicht spürst. Das kommt vielleicht daher, dass ich mich eigentlich für sehr viele Dinge interessiere, am wenigsten für Wirtschaft. Das liegt sicher an meiner humanistischen Ausbildung: acht Jahre Latein, sechs Jahre Altgriechisch. Da eröffnen sich Welten für das Gute, Schöne, Rechtschaffene, eben für mehr »geistige« Güter und nicht für praktische Dinge wie Börsenkurse etc. Außerdem lernt man, und das erscheint mir besonders wichtig, geschriebene Texte und Reden nach ihrem Inhalt und nicht nach der Form zu beurteilen.
Diese kritische Einstellung ist Politikern und Leuten der Wirtschaft nicht angenehm – und daher gehört ihrer Meinung nach eine derartige Ausbildung abgeschafft. Für mich war sie in meinem Beruf wesentlich, konnte man sich doch mit den zu prüfenden Akten eingehend auseinandersetzen und damit auf den Gedankengang des zu Prüfenden eingehen und entsprechend beurteilen. Das alles klingt nicht allzu positiv, ist es aber. Weil Du gezwungen bist, auf Deinen Partner einzugehen, seine oft verborgenen Ängste oder Zweifel zu erkennen und damit die meisten Probleme aus der Welt zu schaffen. Man lernt, seinem Gesprächspartner zuzuhören. Das ist etwas, das heutzutage kaum mehr ausgeübt wird, da man ja bestrebt ist, den Anderen niederzuschreien.
Dazu kommt, dass mit zunehmendem Alter die Religion immer stärker in mein Leben trat. Ich bin Katholik und würde mich nicht als religiös, sondern als gläubig bezeichnen. Ich bin überzeugt, eine Seele zu besitzen, die nach meinem Tode in eine Wohnung im Reich meines Vaters – Gott – zurückkehren wird. Das impliziert, dass es ein höheres Wesen gibt, gleich welchen Namen ihm die Menschen gegeben haben, das uns liebt und uns Geborgenheit und Wärme für ewig bereithält. Daraus folgert, dass alle Geschöpfe von Gott gleich geschaffen und geliebt werden und niemand das Recht hat, auf andere herabzusehen.
Ich hoffe so sehr, dass sich die Menschheit in diese Richtung weiterentwickelt.
PERRY RHODAN lese ich auch deshalb, weil die Grundtendenz in diese Richtung geht. Wenn also meine humanistische Ausbildung und meine Glaubensüberzeugung in die gleiche positive Richtung gehen, gibt es keinen Grund, warum ich mir meine positive Lebenseinstellung nicht bewahren sollte.
Gibt es Zyklen oder Handlungsstrecken bei PERRY RHODAN, die Dir besonders gut gefallen haben? Kannst Du immer noch so mitfiebern wie vor 20 oder noch mehr Jahren? Oder spürst Du heutzutage eine gewisse Abgeklärtheit?
Da muss ich die Standardantwort geben. Es ist der MdI-Zyklus, der mir am besten gefallen hat. Wahrscheinlich, weil er der erste große Zyklus war, den ich gelesen habe und weil er wirklich gut konzipiert und geschrieben war. Dann gefielen mir noch recht gut »Die kosmischen Burgen«, »Neuroversum« und »Der moralische Code«.
Aber jetzt muss ich Dich enttäuschen: Mitgefiebert habe ich nie. Mir haben die Hefte fast immer gut gefallen sie haben sich gut gelesen – aber mitfiebern? Heute bin ich schon so abgeklärt, dass ich weiß, die Action beginnt so um Seite 40 und steigert sich bis zirka Seite 58 und dann kommt der Schluss. Das macht aber nichts, ich bin in den meisten Fällen zumindest zufrieden und warte mit Interesse auf das nächste Heft.
Unser Kontakt kam eigentlich zustande, weil Du mir auf eine kleine Trickserei draufgekommen bist und Du Dich daraufhin bei der Leserbrieftante Michelle Stern gemeldet hattest. Kannst Du diese Geschichte vielleicht mit Deinen Worten nacherzählen?
Ich hatte es mir gerade gemütlich gemacht, hatte das Heft PERRY RHODAN 3228 zur Hand genommen und zu lesen begonnen. Auf einmal wurde ich stutzig, da war doch etwas! Also habe ich noch einmal eine bestimmte Stelle gelesen – und wirklich, da standen die Namen Uridil und Kuthan! Das gibt’s doch nicht, wer außer ein paar eingefleischten Rapid-Anhängern kennt noch diese Namen?
Der Autor des Romans war ein gewisser Michael Marcus Thurner. Aha, ein Wiener, alles klar. Zur Absicherung habe ich ein Mail an die Leserbrieftante Michelle (Anm: gemeint ist Michelle Stern) geschrieben:
»Ich melde mich heute bei dir, weil ich mich über eine Stelle in Heft 3228 sehr gefreut habe, mit der wahrscheinlich 99,5 Prozent der Leser nichts anzufangen wissen. Es geht um die Erwähnung der Figuren Kuthan (Richard) und Uridil (Josef/Pepi), beides Idole aus meiner Jugend als berühmte Stürmer bei meinem Lieblingsklub Rapid Wien – und das seit den 1930er-Jahren. Ist Michael Marcus Thurner auch Rapid-Fan?«
Michelle war so lieb, das Mail an Dich weiterzuleiten. Und so kam unser Kontakt zustande.
Uns beide verbindet also eine große Leidenschaft für den österreichischen Fußballklub SK Rapid, der unzweifelhaft der beste des bekannten Universums ist.
Ich muss gestehen, dass ich schon das eine oder andere Mal ehemalige Spieler in PERRY RHODAN-Manuskripte reingeschmuggelt habe. Deine Geschichte, wie Du zum Rapid-Fan geworden bist, ist für mich etwas ganz besonderes, vor allem, weil sie so tief in die Vergangenheit zurückreicht. Darf ich Dich bitten, auch dazu ein paar Worte zu schreiben?
Du kannst Dir die Stimmung in Wien an diesem 22. Juni 1941 nicht vorstellen, als es in Berlin um die Deutsche Meisterschaft zwischen Schalke 04 und Rapid ging. Die Straßen waren leer, alles saß daheim vor den Radioapparaten und hörte der Übertragung zu. Wir waren zu Dritt oder Viert auf der Wiener Ringstraße vor dem Volksgarten, hörten die öffentlichen Lautsprecher, zitterten mit Rapid, waren verzweifelt über den Halbzeitstand von 2:0 für Schalke (die Vorzeigemannschaft Deutschlands). Franz »Bimbo« Binder hatte einen Elfer verschossen, die Stimmung geriet weit unter dem Nullpunkt. Dann schoss Schalke nach der Pause auch noch ein drittes Tor, alles schien endgültig verloren. Unmittelbar danach gelang Schors, dem Rechts-Verbinder, aber das 1:3. Zaghafter Jubel kam auf, der sich nach dem 2:3 durch Binder aus einem Freistoß verstärkte. Kurz darauf verwandelte Binder einen Elfer zum 3:3. Als Binder das 4:3 aus einem Freistoß erzielte, gab es kein Halten mehr. Niemand zweifelte jetzt am Sieg Rapids, obwohl es noch 20 Minuten ging, aber da war ja die Rapid-Viertelstunde. Wir waren stolz auf Rapid und Wien, wir hatten es den Deutschen gezeigt.
Am ehesten lässt sich die Stimmung mit der beim 3:2 Österreichs über Deutschland in Cordoba vergleichen. Seither steht für mich Rapid über allem (nur im Fußball, eh klar).
Aus der Kriegszeit kann ich mich nur noch an einen Meisterschafts-Sieg Rapids über den ewigen Rivalen Austria Wien in der Höhe von 10:1 im Jahre 1941 erinnern. Wir hatten damals auch noch andere Sorgen.
Zum Abschluss lass uns nochmals zu PERRY RHODAN zurückkehren. Wie gefällt Dir die aktuelle Handlung bei PERRY RHODAN, hast Du etwas daran auszusetzen? Was erhoffst Du Dir für die Zukunft, sowohl privat als auch für die Serie?
Die aktuelle Handlung gefällt mir gut und ich bin neugierig, wie Ihr die einzelnen Trümmer zusammenbringt, das ist ja dann fast schon ein 2000er-Puzzle. Macht es Euch nicht zu einfach, etwa: »… und dann kamen die 485 oder 9822 Einzelteile aus allen Richtungen zusammen, vereinigten sich mit einem Knall, den man in der Leere des Universums eh nicht hörte, und der alte Mann ES stand da und lachte sich eins.« Auszusetzen hätte ich vielleicht, dass man den Überblick über die Einzelteilchen verlieren kann.
Was ich mir für die Zukunft erhoffe, habe ich wahrscheinlich mit allen Menschen gemeinsam: Frieden und Wohlstand. Mir reichen sieben Jahre Krieg und das Zusammenkrachen des Tausendjährigen Reiches völlig, ich möchte auch den Wiederaufbau meines geliebten Heimatlandes nicht noch einmal bezahlen. Und ich möchte, dass sich unsere Behörden die Leute aussuchen, die bei uns leben wollen und Schmarotzer dorthin zurückschicken, woher sie kommen. Ja, und dann möchte ich gern den Band 3299 noch erleben. Wenn möglich auch noch spätere, und dass Rapid endlich wieder Meister wird. Cupsieger wäre auch schon nett. Ja, und dass ich so leben kann wie ich will und mir kein/e Klugscheißer*in vorschreibt wie ich zu reden, schreiben, essen, trinken, lieben habe. Gesundheit ja, aber ich glaube, es ist besser Gott zu bitten, er soll mir die Kraft schenken, alles zu ertragen.
Der PR-Serie wünsche den Fortbestand bis zu Heft 84.266. NATHAN soll ausrechnen, wann dann das Ende wäre.
War sehr interessant! Im Gegensatz zu Hellmuth war für mich Perry Rhodan selbst im Schnelldurchgang Jahrzehnte nachlesen. Das war aber wunderbar. Das wöchentliche Warten vertreibt mich regelmäßig, man kann nicht etwas überfliegen oder man muss warten, wenn es spannend wird. Ich habe schon deshalb überlegt, nur noch die ein/zwei 50er eBook Paket eines Zyklus zu lesen. Den MdI Zyklus habe ich als Silberbände gelesen, es war mein Einstieg in PR.
Was für ein schönes und interessantes Interview! Das macht große Hoffnung, das ich auch noch in 30 Jahren die Serie evtl. lesen kann. Und der MdI-Zyklus war auch mein bisheriger Lieblings-Zyklus.
Ad astra Volker.