Kai bekommt einen Extra-Platz bei den Tat-Orten. Deshalb, weil er mir einen Text über seinen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt hat, den ich Euch nicht vorenthalten möchte:
„Meine ersten beiden Bücher habe ich Anfang der Neunziger in einer WG geschrieben. In einem schimmeligen Gründerzeitbau hausten wir – drei Volontäre und Redakteure einer Boulevardzeitung – in der letzten bewohnten Etage. Kürzlich war ich noch mal dort: Alle Fenster waren zerbrochen, die Fassade mit Netzen abgehängt, die Haustür zugemauert.
Als ich, rechtzeitig zum dritten Buch, in eine schick renovierte Altbauwohnung zog, kaufte ich mir einen Schreibtisch für mein neues Arbeitszimmer. Das war 1994. Und obwohl ich seitdem mehrfach umgezogen bin, begleitet mich das Ding noch immer. Dabei ist es erstens nicht schön und zweitens zu klein. Ich müsste sagen, dass ich daran hänge, aber das wäre gelogen. Tatsächlich bin ich schlicht zu faul, den Tisch endlich abzuräumen, auseinanderzunehmen und statt seiner einen neuen zu kaufen. Offiziell gilt er seit Jahren als Provisorium, aber man weiß ja, wie lange die halten können.
Es liegen auch ein paar Bücher darauf, aber vor allem wird er von Filmen belagert. Das sind nur jene, die ich längst mal in die Regale im DVD-Zimmer hätte einräumen müssen. Das befand sich jahrelang eine Etage tiefer und liegt neuerdings im Nachbarhaus, das ich zwecks Erweiterung der Bibliothek renoviert habe. Was bedeutet, dass die Filme wohl in Kürze verschwinden werden, obwohl ich mich gerade daran gewöhnt hatte, dass die Türme mit schöner Regelmäßigkeit zusammenfielen und den Hund erschreckten.
In den Regalen im Hintergrund stehen nur Sachbücher, die meisten zur Recherche meiner Romane. Es waren schon deutlich mehr, aber gut die Hälfte habe ich beim letzten Umzug vor fünf Jahren ausgemistet. Alle anderen Bücher stehen in der Bibliothek im Erdgeschoss, die mit dem Arbeitszimmer durch eine Treppe verbunden ist. Die Regale sehen aus wie Billys, sind aber vom Schreiner und sehr viel stabiler – ich wollte schlichte weiße, damit die Räume nicht zu dunkel werden. Alles in allem habe ich rund vierzig Wandmeter davon und trotzdem zu wenig Platz (ergo: das Nachbarhaus).
Das Gute an meinem überfüllten Schreibtisch ist, dass ich daran nicht schreibe. Ich habe also immer eine Entschuldigung, warum ich ihn gerade heute nicht aufräumen muss. An meinen Büchern arbeite ich in der Bibliothek, vor einem Fenster zum Garten, in einem dieser ultragesunden „Stresslesssessel“ (in Comics geht so was als „Soundword“ durch, etwa für die Schlange Kaa). Der schont den Rücken, heißt es, aber meiner tut trotzdem weh. Außerdem schläft man darin ganz hervorragend ein. Luxusprobleme eines Selbstständigen.
Ich schreibe meine Manuskripte auf einem Macbook. Der Blick ins Grüne ist ein Bonus, aber nicht der Hauptgrund, warum ich hier unten arbeite. Ich sitze gern zwischen Bücherregalen, außerdem ist es im Sommer der kühlste Raum des Hauses (im Winter leider auch). Das Foto habe ich arglistig manipuliert, normalerweise liegt da noch ein Hundekissen gleich hinter mir und darauf ein schlafender Fellberg. Es hält nicht wacher, wenn man Hundeschnarchen im Ohr hat, aber Tiere waren während der Arbeit an fast allen meinen Büchern dabei. (In der WG vermutlich Ungeziefer, aber seit DIE GEISTERSEHER immer Hunde. Zwei von ihnen tauchen inkognito in meinen Geschichten auf, und Heidi, mein portugiesischer Hirtenhund, brummelt gerade, sie würde das gern auch noch zu Lebzeiten schaffen.)
Trotz Stresslesssessel sitze ich jeden Tag auch am Schreibtisch, rücke die Tastatur zurecht, bis sie zwischen Papierstapeln, Stiften und Kaffeetassen nicht mehr wackelt und beantworte E-Mails und Facebook-Nachrichten. Die Tür ist fast immer offen – ich habe nie verstanden, warum manche Autoren aus ihren Arbeitszimmern ein Gefängnis machen. Das Telefon klingelt laufend, die Paketboten erst recht, und durch das Fenster höre ich das Palaver der Nachbarn draußen auf der Altstadtgasse. Ruhe ist schön und gut – aber völlige Stille fühlt sich für mich ziemlich laut an.“
Das Copyright der Bilder liegt bei Kai Meyer.
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