Über das Alte

Meine Familie lebt seit über 60 Jahren in derselben (Miet)Wohnung, genauer gesagt seit dem Jahr 1948. Haus und Ort haben eine gewisse Geschichte. Nix aufregendes, aber ich interessiere mich dafür.

1750 wurde im Vorgängerhaus (es hieß „Zu den drei goldenen Hufeisen“) der Bildhauer Fritz Steinfeld geboren, über den  ich leider sonst nix weiß. 1885 ermordete hier ein Selchergeselle seinen Kollegen, und im zweiten Weltkrieg wurden Erzählungen nach in der „Atelierswohnung“, in der ich heute sitze, zwei flüchtige Juden vor den Nazis versteckt.  In den Fünfziger Jahren gab’s einen Raubüberfall mit Geiselnahme … Irgendwann, so hoffe ich, kann ich diese Geschichten mal aufarbeiten bzw. auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.

Ich selbst habe Erinnerungen an dieses Haus, die bald auch schon ein halbes Jahrhundert zurückreichen. Solche an einen Bänkelsänger zum Beispiel, der im Hof stand, mit schöner Stimme sang und dem man dann von allen Seiten Münzen vor die Füße schmiß.  Das klingt wie aus einer anderen Welt – ich hab’s aber tatsächlich erlebt, auch wenn es mir heute völlig fremd erscheint.

Nun bin ich in dritter Generation in diesem Haus, und die Wohnung wurde mehrmals umgebaut, saniert, repariert, erneuert. Dennoch gibt es bestimmte Dinge, die ich aus der Zeit meiner Großeltern oder Eltern aufbewahrt habe. Sie haben längst keinen Wert mehr und sind auch nicht in Gebrauch. Sie sind über die ganze Wohnung verteilt und tauchen an den unmöglichsten Stellen auf. Ich begegne ihnen, wenn ich einen bestimmten Kasten aufmache oder in der Küche nach Geschirr suche. Ich könnte gar nicht sagen, warum ich sie aufgehoben habe. Sie sind auf ihre Art faszinierend oder ästhetisch oder erinnern mich an etwas. An bestimmte Geschehnisse oder Epochen. Manchmal auch an eine Art der Ästhetik, die man heute nicht mehr kennt.

Ich habe ein paar dieser Gegenstände photographiert und stelle sie hiermit ein. Mich interessiert nun brennend, ob Leser dieses Blogs einen ähnlichen Spleen wie ich haben – oder hat das bloß mit meiner Sammlerwut zu tun? Wie gesagt: Kommentare sind hochwillkommen. Und nun: Viel Spaß!

9 Kommentare Gib deinen ab

  1. Das mit dem Eisholen solltest du echt mal machen – die werden gucken!

    1. mmthurner sagt:

      Ja. Sobald's warm ist, mach ich's. Ich hab den Behälter erst vor einigen Wochen wiederentdeckt. Das spricht nich

      Gesendet: Montag, 25. Februar 2013 um 15:43 Uhr

    2. mmthurner sagt:

      … das spricht nicht für meine Ordnung, wollt ich noch sagen.

      Gesendet: Montag, 25. Februar 2013 um 15:43 Uhr

  2. G. Hauer sagt:

    Vor Jahrzehnten im oberen Drittel der Kindheit den einen oder anderen weitläufigen Dachboden erforscht, der nicht so ganz offiziell zugänglich war. Von einigen staubigen Lichtbalken noch das Echo im Hirn. Da haben mich die alten Werkzeugteile schon fasziniert, vor allem die, die ich mir nur fast erklären konnte.

    Mein aktueller Lebensort war vor 14 Jahren noch eine Wiese mit ein paar winzigen Zwetschenkenbäumen und einer riesigen Hollerstauden. Da ist alles recht neu, und es geht mir nix ab.

    (Was mir aber altersbedingt auffällt: Dinge, die mir früher so unendlich fern in der Vergangenheit waren, sagen wir mal, Beethoven, kommen mir heute vor wie vorgestern.)

  3. Mir fällt gerade ein: Solche Kochgeschirre gibt es auch heute noch. Wir haben die in verschiedenen Größen zuhause und nehmen sie zum Beispiel gern für Picknicks.

  4. mmthurner sagt:

    Ich shuttle hier einen Beitrag von Hans St.:

    Hallo Marcus,
    besonders die Milchkanne löst bei mir Erinnerungen aus. Wir hatten in den 60ern und 70ern so eine Ähnliche, nur größer (5 Liter) und nicht aus Alu sondern aus Stahl glaube ich. Der Deckel war mit einem Scharnier befestigt zum Aufklappen und konnte mit einer Art Bügel fest verschlossen werden damit er sicher nicht aufgeht. Ich bin in den 70ern mit meiner Puch MS50 mit dieser Kanne am Gepäckträger oft zu einem Bauernhof gefahren und hab für unsere Familie die Milch geholt. Hab die Kanne dann mit Gummispannern (die gab´s damals auch schon 😉 zusätzlich befestigt damit ich die Abkürzung über einen Wiesenweg nehmen konnte und das Ding nicht runterfällt. Und – nachdem ich „Easy Rider“ im Kino gesehen hatte hab ich meine MS50 im Stars-and-Stripes – Design in Blau-Weiß-Rot umlackiert. War sicher ein Bild für Götter wie ich mit meiner Easy-Rider MS50 mit einer großen Milchkanne am Packlträger über Wiesenwege gedüst bin … ;-)))
    LG Hans

  5. Robert sagt:

    Lieber Mike!
    Ich wusste gar nicht, dass du für so altes Graffelwerk empfänglich bist. Wie du dich vielleicht erinnerst, bin ich mit diesem Virus seit meiner Kindheit infiziert. Neuerlich ziehe ich die Dinge unseres Kinder-Alltags (60er, 70er) an. Waschrumpel, Kaffeemühle (hab damit Straßenbahn gespielt!) Mohnreibe und Handmixer (Schlagobersschlagen). Es geht aber auch ums Überleben und weiterreichen dieser Dinge für unsere Kinder + Enkel – denke ich jedenfalls!
    Liebe Grüße, Robert E.

    1. mmthurner sagt:

      Servus Robert,

      ich hab einige Mails bekommen über Dinge, die für einen wichtig sind und Erinnerungen heraufbeschwören. Sie stellen halt einen persönlichen Wert dar, und ich find’s gut, wenn diese Gegenstände aufbewahrt werden.
      Ich persönlich behalte mir aber auch Sachen, die ich nicht unbedingt mit irgendwas assoziiere. Zum Beispiel diese eine Glasflasche aus den Sechzigern, die sich gut angreift, und eine unglaubliche Ästhetik hat. Sie ist einfach nur schön.

  6. Christian sagt:

    Ich greife auf, was Robert geschrieben hat – Überleben und Weiterreichen. Sind wir die letzte Generation, die für „Das Alte“ einen Sinn hat, oder kann sich diese „Nostalgie-Ader“ doch noch in künftige Generationen, die ja in eine moderne, hoch technisierte Welt hinein geboren wurden/werden, weiter vererben?
    Bei Roberts Söhnen scheint das ja gegeben zu sein, bei meinem bin ich mir nicht so sicher. Wie ist das bei deinen Töchtern, Michael?
    Ich hab mir unlängst mal diese Gedanken gemacht als ich die Dinge, die ich im Lauf meines Lebens so gesammelt habe –auch an altem Zeug – gesichtet habe. Dabei habe ich auch realisiert, dass mein Interesse dafür eigentlich erst mit den Jahren gewachsen ist, und ich daher das eine oder andere (teilweise recht teuer) nachgekauft habe, was in meiner Familie früher vorhanden war und leicht weitergebbar gewesen wäre (z.B. ein Röhrenradio).
    Aber mein Vater hatte wenig übrig für diese Dinge, und so wurde (fast) alles weggeworfen oder verkauft, was aus dem Nachlass der Großeltern, Großtanten/-onkeln etc. stammte. Ich erinnere mich speziell an eine alte Tante von mir, die stammte aus einem großbürgerlichen Umfeld und ihre Wohnung strotzte nur so von hochwertigen alten Möbeln etc.
    Wurde alles verkauft und ich bin (heute) überzeugt, zu nicht mal besonders guten Bedingungen, weil in unserer Familie auch niemand eine Ahnung davon hatte. Ich selbst war noch zu jung zu dieser Zeit und hatte wie gesagt noch wenig „Draht“ zu diesen alten Familienerbstücken. Ein paar Jahre später und ich hätte vermutlich auch heute noch so eine wunderschöne Kredenz zuhause stehen wie unser Kakanianer Hans.
    Ein paar Stücke habe ich mir damals aber ausgesucht und die habe ich heute noch: Balgenkameras, ein silbernes Zigarettenetui, ein Glas aus der Jugendstilzeit, Kaffeetassen und ein paar Dinge mehr.
    Heute erfreue ich mich daran, aber es bleibt die Frage: wird das nach mir noch wer schätzen oder wird auch alles verkauft oder weggeworfen?
    Nun ich werde es nicht erleben… 😉

    Ach ja: der Tichy-Eisbehälter ist ein Hammer! 

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