Die Figur Ronnie O’Sullivan

Wann auch immer ich in diesen Tagen eine freie Minute habe, sehe ich mir im TV Spiele der Weltmeisterschaft im Snooker an. Snooker, das ist diese Billardsport-Abart mit fünfzehn roten und einigen bunten Kugeln, deren Regelwerk  eine englische Erfindung sein muß, so seltsam ist es.

Vor einigen Jahren bin ich dem Faszinosum dieser Sportart erlegen, die wohl nur auf dem ersten Blick langweilig ist. Sobald man sich ein bißl mit der Materie beschäftigt und über Taktik, Ausrichtung, Spielanlage, Psychologie etc. Bescheid weiß, öffnet sich einem eine völlig neue Welt mit Sportlern, die diesen Namen auch zurecht tragen. Denn sie trainieren wie die Verrückten und bringen Leistungen, wegen derer ich nur staunend meinen Hut ziehen kann.

Nun hat die Anziehungskraft, die Snooker auf mich ausübt, auch einen Namen und ein Gesicht. Ronnie O’Sullivan ist Engländer, er steht seit zwanzig Jahren als Profi am Tisch und hat grad erst wieder das Halbfinale der Weltmeisterschaft in Sheffield erreicht. Er agiert auf eine Art und Weise, die sich mir nicht und nicht erschließt. Irgendwie fühlt man, daß hier die richtige Person den richtigen Platz im Leben gefunden hat – und dann auch wieder nicht. Denn bei allem Genie, das O’Sullivan gegeben ist, ist er doch auch das Enfant Terrible der Szene. Da kann’s schon mal passieren, daß er, weil es gerade mal nicht so läuft, seinen Queue einem Jungen im Publikum schenkt. Daß er bei einer Pressekonferenz in China völlig gelangweilt Fragen der chinesischen Übersetzerin beantwortet und Obszönitäten absondert, die Volk und Dolmetscherin beleidigen.  Daß er während des Spiels einfach aufhört, seinem völlig verblüfften Gegner die Hand schüttelt, ihm zum Sieg gratuliert und das Weite sucht …

Es gibt viele Beispiele für sein ungewöhnliches Verhalten, die früheren sind in einer bereits 2003 erschienenen Autobiographie festgehalten. Da erfährt man auch einiges über Gründe und Hintergründe. Die Familienverhältnisse waren kompliziert, O’Sullivans Vater betrieb in London eine Kette von Pornoläden und wurde wegen Mordes für lange Jahre verknackt (seit letztem Jahr ist er wieder frei). Er hatte ein Alkohol- sowie Drogenproblem – und er leidet/litt unter schweren Depressionen.

Er ist ein Genie mit unglaublich lichten Momenten. Wenn man ihm beim Spiel zusieht (das er übrigens in manchen Phasen seines Lebens haßt wie sonst nur was), könnte man glauben, daß Magie im Spiel wäre. Doch irgendwann kommt wieder die andere, böse, selbstzerstörerische Seite zum Vorschein.

Heute haben die Semifinali der Weltmeisterschaft begonnen, O’Sullivan ist Titelverteidiger und noch mit dabei. Ich werde zwischendurch zusehen und mitfiebern. Man weiß halt nie, wie O’Sullivan grad mal drauf ist. Ich schwebe zwischen Wünschen und Bangen und hoffe, daß er seine während der letzten zehn Tage gezeigte brillante Form halten kann.

Es hat schon seinen Grund, warum ich in meinem Blog das Hohelied auf diesen einen Snooker-Spieler singe. Es hängt mit Kritiken zusammen, die ich irgendwo in einem Forum gelesen habe. Mir wird da vorgeworfen, daß ich öfter mal stark überzeichnete, gebrochene, manische,  ja, in ihrem Verhalten völlig unglaubwürdige Figuren in meinen Texten verwenden würde.

Nun, ich muß widersprechen. Es gibt Vorbilder für diese Figuren, und ich muß noch nicht mal großartig überzeichnen, wenn ich Texte schreibe und sie als Vorlage verwende. Es sind die O’Sullivans dieser Welt, die mich inspirieren und die mich faszinieren. Ja, ich würde sogar behaupten, daß ich auf sie angewiesen bin.

Es mag bessere Sportler als diesen Kerl in der Snooker-Branche geben. Solche, die mehr gewonnen haben. Solche, die ein besseres Ansehen haben. Solche, die dem Sport besser zu Gesicht stehen. Aber man wird wohl keinen anderen Spieler finden, über den man interessantere Geschichten schreiben könnte. Und das macht’s für mich ganz eindeutig aus, das Potenzial einer Figur wie Ronnie O’Sullivan …

So, jetzt muß ich Fernschauen gehen und Daumen drücken.

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Heinz-Ulrich Grenda sagt:

    Dann hast Du ja mit Ronnie viel Spaß gehabt, Frau und Tochter schwärmen
    auch für Snooker, dessen Regeln übrigens durch englische Offiziere – daher
    auch so merkwürdig – aufgestellt wurden, daher bekomme ich auch immer was
    davon mit………….
    Du hast mich zu Facebook eingeladen, ist mir von den Informationen, die
    dabei gesammelt werden, zu „gefährlich“………………….
    Ich bleibe lieber bei den Kommentaren in Deinem Blog……………..
    Und Dein eingestelltes Titelbild für das neue Buch hat mich wieder zu meinem alten Hobby, dem Zeichnen (Kohle und Bleistift, früher auch Acryl und Öl) gebracht, wenn Du Interesse hast, mailen, dann schicke ich Dir ein paar Beispiele………

    Dein Fan Heinz-Ulrich „overhead“

  2. Ich sollte öfter mal deine Seite besuchen. Dann hast du unter deinen Lesern nämlich einen weiteren riesigen O’Sullivan-Fan. 😉

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