Interview mit … Andreas Eschbach

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Andreas Eschbach, Erfolgsautor und Verfasser des eben erschienenen PERRY RHODAN-Romans 2700, hat mir einige Fragen beantwortet. Ich muß allerdings warnen: Es besteht Spoilergefahr. Wir plaudern auch über Geschehnisse des Bandes 2700. Viel Spaß!

F: Andreas, du bist eine der Größen der deutschsprachigen Science Fiction oder, um den Rahmen etwas weiter zu spannen, der Phantastik. Du wirst aber auch sehr stark in der Mainstream-Literatur wahrgenommen. Schon aus Eigeninteresse frage ich: Wie schaffst du diesen Spagat bzw. ist er überhaupt einer? Oder, anders herum: Ist es heutzutage unvorteilhaft, sich als Autor des Phantastischen etikettieren zu lassen?

A: Wie man etikettiert wird, darauf hat man wenig Einfluss, insofern sind hier Empfehlungen müßig. Und letztendlich kann man sich auch nicht wirklich aussuchen, was man schreibt; die Themen und Geschichten kommen ja irgendwoher, und zum größten Teil ist man da eben durch seine eigene Lektüre geprägt. Bei mir waren das seit jeher die spannenden Unterhaltungsromane auf der einen und die SF-Romane auf der anderen Seite, und heute finden sich bei meinem eigenen Schreiben Elemente des einen im anderen, egal welcher Seite ich mich auch zuwende.

Insofern: Nein, von meiner Warte aus ist das kein Spagat, sondern eine Melange. Wobei ich zugebe, dass Buchhändler das vermutlich anders sehen.

F: Bestseller wie „Ausgebrannt“, „Ein König für Deutschland“ oder „Herr aller Dinge“, drei deiner letzten Romane, haben jeweils eine „Was-wäre-wenn“-Prämisse, die nicht unvorstellbar erscheint und sehr zeitnah angewendet wird. Da geht es um das Ende der Ölvorräte, um die Manipulation von Wahlcomputern und um Nano-Maschinchen, die sich selbst reproduzieren können. Bei PERRY RHODAN-Band 2700 wurdest du hingegen in ein Universum hineingestoßen, das weit voraus in der Zukunft liegt. War dieser Umstieg für dich ein Problem?

A: Nein, ins PERRY RHODAN-Universum zu gehen ist für mich immer so eine Art Rückkehr zu den Wurzeln. Ich habe ja mit dem Schreiben angefangen, weil mich die PR-Serie so fasziniert hat; Perry Rhodan und seine Getreuen waren sozusagen die Begleiter meiner Jugendjahre: Das prägt.

F: Du kennst PERRY RHODAN seit deiner Jugend, es wurde auch mal ein Leserbrief von dir auf der Leser-Kontakt-Seite veröffentlicht. Bist du aktuell in der Handlung „drin“?

A: Ich verfolge die Handlung, aber die Zeit, alle Romane zu lesen, habe ich nicht mehr – irgendwie vergehen die Wochen heutzutage schneller als früher. Ich nehme mir von Zeit zu Zeit den aufgelaufenen Stapel vor, lese Hefte an, und wenn es mich fängt, auch durch. Wenn nicht, muss die Zusammenfassung am Schluss reichen. Wobei es gewissen Autoren besser als anderen gelingt, mich einzufangen, aber ich nenne jetzt mal keine Namen.

F: Was macht deiner Meinung nach den Erfolg der Serie aus?

A: Wenn ich das wüsste! Ich schätze, es hat etwas damit zu tun, dass sich irgendwie alle Heldensagen in der einen oder anderen Form darin wiederfinden – Perry Rhodan ist mal König Artus, inklusive Tafelrunde, versteht sich, mal Old Shatterhand, mal Siegfried … Vielleicht solltest du dazu mal aufgeschlossene Literaturwissenschaftler befragen! Deren Antworten würden mich auch interessieren.

F: PERRY RHODAN ist eine Erfolgsgeschichte, die nun schon über fünfzig Jahre anhält. Wir Autoren zeichnen ein Bild der Zukunft, das auch immer gegenwärtige gesellschaftspolitische Strömungen widerspiegelt. Wir greifen nun schon enorm weit in die Zukunft voraus, ins Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das ist in etwa das Jahr 5100. Was meinst du: Könnte man denn in irgendeiner Form vorhersehen oder auch nur erahnen, wie das Leben in der Realwelt in über dreitausend Jahren wirklich sein wird?

A: Nein. Ich will jetzt nicht davon anfangen, dass das so wäre, als verlange man von einem Zeitgenossen Homers, die gegenwärtige griechische Finanzkrise vorherzusagen. Wenn wir ehrlich sind, hätten wir uns noch nicht mal vor dreißig Jahren die heutige Welt und wie wir leben vorstellen können. Insofern können wir nur eines mit Sicherheit sagen, nämlich dass es so, wie es in PERRY RHODAN geschildert ist, nicht kommen wird.

Was aber nichts macht, finde ich. Es ist nicht der Job der Science Fiction, die Zukunft vorherzusagen. Sie tut nur so. In Wirklichkeit kleidet sie die Gegenwart in das Gewand der Zukunft, und das ist, wenn man es genau bedenkt, auch viel interessanter.

F: Kommen wir zu PERRY RHODAN-Band 2700. Du bist der erste „Gastautor“, der einen Jubiläumsband geschrieben hat. Wim Vandemaan ist meines Wissens mit diesem Vorschlag an dich herangetreten. Hast du dich gewehrt, hattest du Bedenken? Es muss ja doch einigen Mut erfordern, einen zyklusbestimmenden Text zu verfassen.

A: Ich sehe den Mut hier eher bei den Expokraten und der Redaktion. Ich habe das Angebot als Vertrauensbeweis verstanden und bin allenfalls mit einer gewissen Ehrfurcht an die Sache herangegangen, aber ansonsten unbekümmert.

F: Eine Frage zur Arbeitsvorbereitung aufs Manuskript: Inwieweit hast du das vorgegebene Expo für deine Arbeit adaptiert, musstest du für dich selbst nochmals eine Handlungsleitlinie erstellen?

A: Grundsätzlich habe ich bei meinen Gastromanen immer versucht, das Exposé möglichst genau umzusetzen; das finde ich gerade das Reizvolle daran, dass ich mir nicht alles selber ausdenken muss. Allerdings bleiben auch dann immer noch genug Lücken, die man mit eigenen Einfällen stopfen muss.

Geändert habe ich beim Band 2700 die Reihenfolge der Ereignisse, die durchs Exposé vorgegeben waren. Die Episode in der Klinik war ursprünglich ganz für den Anfang geplant, was mir aus meiner Sicht auf die Geschichte dramaturgisch ungünstig erschien. Gut überlegt habe ich mir jeweils auch immer, aus welcher Perspektive eine Szene erzählt werden muss, um zu einem spannenden Erzählfluss zu kommen. Also, kurzum: Trotz eines sehr detaillierten Exposés war es alles andere als „einfach bloß runterschreiben“.

F: Ich habe den Roman auch bzw. hauptsächlich aus der Sicht des Autors durchgelesen. Mir sind einige Nebenfiguren ins Auge gestochen. Da ist einmal Rhodans Azubi, Basil Nunn. Eine Figur, von der im Expo bloß der Name vorgegeben war, die du dir so gestalten konntest, wie du wolltest. Rhodan übernimmt Nunn gegenüber ein wenig die Rolle des Mentors. Das ist wunderbar gelungen, Teile des Lebens in der Stadt Terrania werden in diesem Miteinander dem Leser deutlich sicht- und spürbar vermittelt. Ich hab das Gefühl, dass du an dem Jungen einen Narren gefressen hast. Stimmt das?

A: Ach, er hat sich im Lauf des Schreibens so entwickelt, da kann ich gar nichts dazu. Es ist eher so, dass Rhodan an ihm einen Narren gefressen hat. Es war irgendwie ein reizvoller Kontrast: auf der einen Seite der uralte Unsterbliche, auf der anderen Seite ein ganz junger Terraner, der zufällig ein Faible für alles Alte hat. Das war mal was anderes.

Und ja, ich wollte ein Gefühl dafür entwickeln, wie es sein mag, in Terrania zu leben. Da waren mir vor allem die Vandemaanschen Romane ein Vorbild; er macht das ja immer sehr gerne und sehr gut.

F: Die zweite Figur, die mir besonders aufgefallen ist, ist Oberst Anna Patoman. Sie liebt Pfefferminztee und hat ihre „eigene, nicht öffentlichkeitstaugliche“ Meinung über diverse Berufsgruppen. Du definierst sie wunderbar mit einigen wenigen, sich mehrmals wiederholenden Worten. Ist das ein „Schmäh“/Trick, den du bewusst eingesetzt hast, oder hat sich das während des Schreibens so ergeben?

A: So etwas ergibt sich beim Schreiben. Oder eben nicht. Ich denke immer, es wäre toll, wenn man sich solche Gags ausdenken könnte, während man eine Figur entwickelt, aber das hat bei mir noch nie funktioniert. Sie erwachen bei mir immer erst dann zum Leben, wenn sie, bildlich gesprochen, „zur Tür hereinkommen und den Mund aufmachen“, und dann erlebt man so seine Überraschungen.

An Patoman gefiel mir diese Kratzbürstigkeit auf der einen Seite, die man in einer solchen Position wohl braucht, um die Disziplin aufrechtzuerhalten, und die weiche, mitfühlende Ader auf der anderen, die sie eine Raumschlacht nicht nur als Statistik begreifen lässt. Aber wie gesagt, das hat sich erst beim Schreiben entwickelt.

F: Nun zu Perry Rhodan selbst. Ich geb’s ehrlich zu, dass ich mit ihm manchmal so meine Probleme habe. Er erschließt sich mir als Figur nicht immer. Er ist derjenige, der die Visionen haben und Optimismus ausstrahlen soll. Wie bist du mit ihm umgegangen, hast du eine Beziehung zu ihm aufbauen können?

A: Ich habe die Gelegenheit genutzt, mal zur Abwechslung einen eher „alltäglichen“ Rhodan zu schildern. Das hat mich schon lange gereizt, so Fragen wie, was Rhodan eigentlich in seiner Freizeit macht, wenn er mal nicht gerade die Welt retten muss. Sitzt er dann herum und dreht Däumchen? Das wäre ein bisschen würdelos, und außerdem würde es bedeuten, dass Rhodan Bedrohung bräuchte, um einen Sinn im Leben zu finden, dass er ein Kriegs-Junkie wäre, und so möchte ich ihn nicht sehen. Also habe ich versucht zu zeigen, dass der Mann durchaus selber was mit sich anzufangen weiß und Friedenszeiten genießen kann. Und irgendwo ist es auch faszinierend, dass man nach 2699 Bänden bei so grundlegenden Punkten noch Neuland betreten und Nägel einschlagen kann.

Bei Reginald Bull oder selbst bei Atlan hat man diesen Eindruck ja interessanterweise nicht, dass die nichts mit sich anzufangen wüssten. Bull habe ich mir immer als jemanden vorgestellt, der auch mal durch die Kneipen zieht, je nach Gefährdungslage mehr oder weniger unbewacht, mit den schönen Töchtern Terranias flirtet, was das Zeug hält, und die guten Restaurants kennt. Und Atlan sowieso, der lässt ja nichts anbrennen.

F: Was definiert die Person Perry Rhodan deiner Meinung nach am stärksten? Ist es der Weg der Eigenständigkeit, der „Dritten Macht“, den er von Anfang an geht? Oder ist es seine Verweigerung, die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage hören zu wollen? Ist es in letzter Konsequenz sein Menschsein?

A: Mir kommt Rhodan vor wie ein völlig ego-loser Mensch, was erst mal sehr ungewöhnlich ist, auf der anderen Seite aber unabdingbar für jemandem mit einem solchen Schicksal, weil das anders gar nicht zu ertragen wäre. Jeder andere wäre an seiner Stelle längst völlig durchgeknallt. Rhodan ist jemand, der so gut wie nichts für sich selber will, sondern ganz daraus lebt, Gefäß, Sammelpunkt, Werkzeug geschichtlicher Entwicklungen zu sein. Sein ihn beherrschender Wunsch ist sozusagen der, dass es der Menschheit wohl ergeht und nach Möglichkeit dem Rest des Universums auch. Mit anderen Worten: Rhodan ist eigentlich ein Heiliger.

Das macht es für jeden Geschichtenerzähler natürlich super-schwierig, denn für Abenteuer aller Art sind Sünden nun mal ein weit besseres Ausgangsmaterial als Tugenden. Ein Glück, dass Rhodan wenigstens Schwächen hat! Daraus lässt sich dann doch immer was machen.

F: Wie siehst du selbst Rhodans Rolle in der laufenden Handlung? Wie würdest du ihn positionieren, hättest du die allumfassende Expo-Macht? Als lenkenden und bestimmenden Mann im Hintergrund, als Mentor oder als Tatmensch an der Front …?

A: Natürlich kenne ich die Pläne der Expokraten nicht, aber mein Gefühl ist, dass Rhodan zur Zeit auf der Such nach sich selbst ist, im übertragenen Sinne. Es ist ja gerade ein Trend, alle möglichen klassischen Helden zu „relaunchen“ – Batman, James Bond und so weiter –, und interessanterweise läuft das immer darauf hinaus, dass die Figuren dabei menschlicher werden, das Comic-hafte verlieren, das sie ursprünglich auszeichnet. Rhodan ist ja streng genommen schon relauncht worden, in der NEO-Serie, die erstaunlich gut ankommt. Ich glaube, der Figur steht auch in der Erstauflage eine Wandlung bevor, eine Art sanfter Relaunch.

Ansonsten bestimmt natürlich die Geschichte, wo und wie Rhodan eingreifen und was er tun muss. Seine hervorragendste Fähigkeit ist ja die des „Sofortumschalters“. Mit anderen Worten: Er ist jemand, dem das Fällen von Entscheidungen leicht fällt. Was man, wenn man philosophisch werden wollte, mit der eben erwähnten Egolosigkeit auch schön erklären könnte und was jemand auch braucht, der jahrhundertelang Regierungsverantwortung getragen hat, ganz praktisch gesehen. Die Zeiten sind zwar vorbei, aber natürlich bleibt Rhodan prädestiniert, in schwierigen Situationen derjenige zu sein, der den Mut zur richtigen Entscheidung aufbringt. Und an solchen Situationen mangelt es in Abenteuergeschichten ja nie.

F: Eine ganz profane Frage: Hast du bei der Beschreibung Terrania Citys einen Stadtplan zu Rate gezogen? Es wirkt alles sehr plastisch beschrieben …

A: Wenn ich einen PERRY RHODAN-Roman schreibe, ist nebenan immer die Perrypedia offen, und ich baue so viel bereits existierende Dinge ein wie nur möglich, auch was Nahrungsmittel, Planetennamen, Materialien und dergleichen anbelangt. Ich liebe es, Szenerien des Perryversums so sinnlich und detailreich wie nur möglich zu schildern – da ist auch noch viel unbeackertes Feld, um das mal vorsichtig auszudrücken.

F: Was wünschst und erwartest du dir von der PERRY RHODAN-Serie in Zukunft?

A: Ich wünsche mir, dass die Serie noch lange, lange weitergeht und, falls es noch irgendwelche Rekorde zu brechen geben sollte, die auch noch bricht … Gibt es aber nicht, oder? PERRY RHODAN hat schon sämtliche denkbaren Rekorde eingestellt. Die längste fortlaufende Geschichte seit Erfindung der Schrift: Was sollte das noch toppen?

Okay, dann wünsche ich mir noch viele, viele intelligente Variationen des Schemas „Bedrohung taucht auf, führt zu allerlei Verwicklungen und wird schließlich doch bewältigt“, mutige und kluge Entscheidungen, wie die Geschichte weitergehen soll und einen möglichst behutsamen Umgang mit dem erzählerischen Universum.

Und was meine Erwartungen anbelangt, gehe ich fest davon aus, dass Band 4999 den Titel „Das Imperium der Mausbiber“ tragen wird …

F: Im Verlags-Forum ist die Frage aufgetaucht, ob du nicht als Stammautor bei PERRY RHODAN mitschreiben wolltest. Hm?

A: Nun ja, diese Frage taucht jedesmal auf, wenn ich mal wieder ein Heft geschrieben habe. Ich kann dazu nur sagen, dass ich niemals nie sage, aber dass es im Moment nicht zur Debatte steht. Immerhin bin ich inzwischen eine Art „Stamm-Gast-Autor“, das ist doch auch schon mal was.

F: Zum Schluss noch die Frage nach deinem derzeitigen Schreibprojekt: Woran arbeitest du, wann gibt’s von dir was Neues zu lesen?

A: Was Neues zu lesen wird es voraussichtlich im September geben, allerdings wird es diesmal ein Roman mit höchstens homöopathischen Anteilen von SF sein, also, im Grunde ohne. Bis dahin schreibe ich natürlich schon am nächsten Roman, aber wie üblich verrate ich dazu noch nichts. Nur, dass es mal wieder was ganz anderes wird. Allerdings nicht so, wie man sich das normalerweise denkt.

Rätselhaft? Gut so.

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