Immer noch fragen sich viele, wer denn die PERRY RHODAN-Leser seien. Aus diesem Grund habe ich eine neue Interview-Serie gestartet. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen bittet ich Leute ins Rampenlicht, die die Buntheit und die Vielfalt des Leserkreises veranschaulichen sollen. Einige von ihnen haben außergewöhnliche Geschichten zu erzählen. Aber lest selbst …
Mein dritter Interview-Partner ist Uwe Hammerschmidt, der in China lebt und die PERRY RHODAN-Serie seit dem Jahr 1969 verfolgt.
F: Uwe, stell dich bitte mal ein bisschen vor und erzähl mir, wie und warum es dich nach Shanghai verschlagen hat.
A: Ich bin Uwe Hammerschmidt, Jahrgang 1956, meine Hauptinteressen sind Kultur (besonders Literatur) und Reisen, Natur und Geschichte. Nach Shanghai kam ich im März 2008, so banal wie die meisten Expats hier: Ich habe einen interessanten Job angenommen, der sich über ganz Ostasien erstreckt, mit Schwerpunkt China.
F: Wie lebt es sich denn in dieser für einen Europäer doch sehr andersartigen Umgebung?
A: Ich habe mich schon von Jugend an nie deutsch gefühlt, eher schon europäisch. Man wächst halt mit einem spezifischen moralischen, kulturellen und geschichtlichem Hintergrund auf (immer wieder interessant, wenn ich mit Chinesen über den Zweiten Weltkrieg spreche: Es geht dann nie um Nazi-Deutschland sondern um die japanische Invasion). Hört sich vielleicht ein bisschen doof an, aber ich glaube schon, dass gerade PERRY RHODAN mich früh dazu gebracht hat, mich als Mensch, Terraner zu fühlen. Und in meinem Leben war es wie bei der PERRY RHODAN-Lektüre: Die »Exotik« lockt zunächst, aber nach einiger Zeit wird sie Normalität: Man fühlt sich »heimisch«. Ich war auch schon immer der »Where ever I lay my hat is my home«-Typ: Einmal den Koffer ausgepackt, fühle ich mich meist zu Hause.
Aber natürlich gab es speziell in den ersten Jahren viel zu entdecken, ich habe, abgesehen von Reiseführern und Landeslektüre, kaum etwas anderes gelesen, ungewöhnlich für mich.
Und noch immer bin ich gerne zu Fuß unterwegs, auch in Shanghai, auf der Suche nach verborgenen »Schätzen«.
F: Wie bist du zu PERRY RHODAN gekommen, seit wann liest du die Serie?
A: Ich war – wie viele – schon als Kind von Johnny Brucks Titelbildern fasziniert, die ich immer am Kiosk-Aushang bestaunte. Ende 1969 war es dann soweit: Mein erstes Heft war Band 106, »Der Götze von Passa«, in der 3. Ausgabe. Kaum ausgelesen, bin ich mit Band 427 in die Erstauflage eingestiegen. Glücklicherweise gab es einen Bekannten meiner Eltern, der kurz darauf die neuen Hefte nach dem Lesen an mich weitergab (einschließlich der gerade begonnenen ATLAN-Serie).Von meinem Taschengeld konnte ich zudem ältere Hefte zu zehn bis 25 Pfennig an verschiedenen Stellen nachkaufen: Ich bekam PERRY RHODAN-Fieber, die schulischen Leistungen sanken … Ebenfalls wie bei vielen anderen Altlesern folgte dann irgendwann der Ausstieg, bei mir war es um Band 620 herum.
Aber man kommt nie los; ich habe zwischendurch immer wieder »reingelesen«, und der endgültige Wiedereinstieg erfolgte dann mit den Silberbänden. Ich habe zunächst den Andromeda-Zyklus verschlungen, der auch mein Lieblingszyklus war: die Don Redhorse Geschichten von Voltz, die Bahnhöfe der Maahks im Leerraum, die Zeitversetzung … Wow!
Nachdem ich die übrigen Silberbände ebenfalls verschlungen hatte, war mein Hunger noch lange nicht gestillt. Und das Erscheinen von Band 1500 kurz darauf mit all den (besonders für Altleser) tragischen Ereignissen hat mich dann zurück zur Erstauflage gebracht. Bis zum Jahr 2008 …
Da mein »Taschengeld« nun etwas üppiger war, habe ich sehr schnell alles nachgekauft (und vieles davon auch gelesen), in Erstauflage die Hauptserie, ATLAN, die Taschenbücher, die Comics, Sonderpublikationen, diverse Fan-Publikationen (unter anderem »Zeitraffer«, »PERRY RHODAN-Perspektive«), jegliche Art von Sekundärliteratur (aktuell haben mir die »PERRY RHODAN-Chroniken« sehr viel Unterhaltung bereitet) …
Auch bei der »Sol« war ich von Anfang an dabei. Wenn ich in Deutschland bin, ist dies immer eine der ersten Publikationen, die ich lese – nach dem obligatorischen Kauf des jeweils aktuellen PERRY RHODAN-Heftes direkt bei Ankunft am Flughafen.
Besonders Rainer Stache hat mir geholfen, den Überblick über die aktuelle Entwicklung zu behalten. Nach einer Pause von zwei, drei Jahren, bedingt durch mein Leben hier, ist mir die aktuelle Handlung doch etwas zu abgehoben geworden. Aber es gibt ja jetzt PERRY RHODAN NEO!
F: Ist PERRY für dich auch ein kleines Stück Heimat, fernab der Heimat?
A: Absolut, sowie Kindheits- und Jugenderinnerung. Als ich Ende 1999 für ein paar Monate in Orlando gearbeitet habe, hatte ich den Schwarmzyklus dabei. Ich bin dann extra zum Erscheinen von Band 2000 nach Deutschland zurückgekehrt.
Auf den meisten meiner Reisen habe ich auch immer mindestens ein PERRY RHODAN-Heft dabei, neben Lektüre, die zum jeweiligen Land passt. In Indien habe ich z.B. neben »Kim« von Rudyard Kipling den Band 414 gelesen.
Bei Band 2500 habe ich mir einen besonderen Spaß gegönnt: In Deutschland angefangen, mit nach Shanghai gebracht und kurz darauf auf einer Dienstreise nach Australien zu Ende gelesen. Ob schon mal ein PERRY RHODAN-Roman auf drei Kontinenten gelesen wurde?
F: Du kommst viel in der Weltgeschichte herum und warst meines Wissens schon mal in der Wüste Gobi unterwegs. Wie groß ist der Unterschied zwischen Realität und Fiktion? Anders gefragt: Könntest du dir in dieser Weltgegend eine Stadt namens Terrania City vorstellen?
A: Schwierige Frage. Tatsächlich war ich nur einmal am Rande der Gobi (ich hoffe, es irgendwann mal tatsächlich zum Goshun-See zu schaffen!). Auf meiner ersten großen Chinareise im Sommer 2008 waren meine Töchter und ich auf dem östlichen Abschnitt der Seidenstraße unterwegs, von Xian bis Tashgurkan nahe der pakistanischen Grenze.
In der Provinz Gansu waren wir an den Ausläufern der Gobi, ich werde den Ausblick in diese »Unendlichkeit« nie vergessen. Auf dieser Reise waren wir dann auch zwei Tage in der Takla Makan, und später, im Jahr 2010, war ich in der Provinz Ningxia in der Tenggeri Wüste nahe der Gobi. Ein paar Tage später sind wir von Hohhot aus zwei, drei Stunden westlich ins Grasland gefahren.
Dort war ich erschüttert (wie an vielen anderen Orten auch) über die Folgen des Klimawandels. Wir waren ein paar Tage auf einem mongolischen Bauernhof, und unsere Gastgeber erzählten, es hätte drei Jahre lang nicht mehr richtig geregnet. Auf unseren Ausritten fanden wir nur verdörrtes Grasland vor, die Seen ausgetrocknet. Wenn überhaupt Vieh zu sehen war, war es abgemagert.
Klar, ich habe die Abschnitte über Gobi/Hohhot in PERRY RHODAN NEO besonders aufmerksam gelesen. Geografisch hatten Scheer und Darlton damals schon die richtige Idee, und Mega-Cities wie Shanghai kommen einem Terrania schon sehr nahe (in der Anfangszeit hier habe ich Shanghai in Mails nach Deutschland immer »Blade Runner City« genannt), aber für mich war Terrania eigentlich immer ein Traum, ein Utopia, von dem nicht nur PERRY RHODAN-Leser träumen: die friedliche Koexistenz und kulturelle Weiterentwicklung einer geeinten Menschheit, ohne Grenzen. Und ich bin froh und stolz, diesen Traum ein bisschen hier in Shanghai verwirklichen zu können. Wir sind alle Terraner!
F: Wie kommst du denn an deine PERRY RHODAN-Romane ran? Liest du E-Books, lässt du dich mit Hilfe eines Versandhändlers beliefern?
A: Ein Freund hat mir jahrelang die Neuerscheinungen gekauft; aus verschiedenen Gründen habe ich nur wenige mit nach Shanghai genommen, die zahlreichen Hefte und aktuellen Ausgaben aber immer in Deutschland gelesen – und irgendwann war es so weit: Ich kam nicht mehr mit. Es gab zu viele Superintelligenzen, zu große Zahlen und auch zu viel Déjàvu.
Aber ich bin nicht erneut ausgestiegen. PERRY RHODAN NEO kam gerade richtig. Ich hinke allerdings etwas hinterher, bin gerade bei Band 39 (den Autor solltest du kennen). Aber ich lese auch den 400er-Zyklus der Erstauflage hier noch mal. Ich habe die Hefte nach Shanghai gebracht.
Ich bin ein altmodischer Leser: Ich brauche das Papier in meiner Hand.
F: Du liest also auch PERRY RHODAN NEO. Dort spielen die Ränkespiele zwischen Russen, Amerikanern und insbesondere Chinesen eine wesentlich größere Rolle als in der Erstauflage. Ich weiß nur zu gut, wie schwer es mir gefallen ist, das Wesen eines chinesischen Militärs zu beschreiben, ohne in Stereotypen zu verfallen. Siehst du die Arbeit der Autoren in der Charakterzeichnung denn als ausreichend gelungen an?
A: Wieder eine schwierige Frage. Zunächst mal finde ich die Charakterisierungen in PERRY RHODAN NEO (natürlich) wesentlich gelungener und differenzierter als die in den Anfängen der Originalserie. Und natürlich bleiben für mich bei aller Nähe und Begegnungen hier in China und in anderen Ländern viele Barrieren, besonders die Sprache(n)! Aber ich war schon vorher fest davon überzeugt: Die Unterschiede zwischen Nationen, Rassen, Kulturen sind gar nicht so groß. Ich finde die Unterschiede zwischen den Geschlechtern (ja, ich frage auch nie nach dem Weg und werde nie verstehen, warum Frauen so viele Schuhe brauchen …) oder Stadt- und Landbewohnern viel größer.
Und letztendlich: Jeder Mensch ist anders! Eine Sache, die mein PERRY RHODAN-Vergnügen immer getrübt hat (obwohl es auch genügend rühmliche Ausnahmen gab und gibt), ist die Charakterisierung der Protagonisten. Ich liebe gute historische Romane wie von James Clavell (sein »Shogun« war der erste »SF«-Roman, der mich vollkommen überzeugt hat, wegen der glaubhaften Schilderung der Begegnung vollkommen unterschiedlicher Kulturen) und George R. R. Martin (sein »Lied von Eis und Feuer« ist für mich eher eine fiktive Mittelaltergeschichte als Fantasy und sein Frühwerk »Die Flamme erlischt« war damals Ende der 70er – ebenfalls wegen der glaubhaften Charakterisierung fremder Kulturen – der beste SF-Roman für mich).
Aber so funktioniert PERRY RHODAN nun mal nicht, kann es nicht funktionieren. Wer möchte – trotz Autorenteam – schon monate- oder jahrelang auf den nächsten Band warten?
Und innerhalb dieser gegebenen Beschränkungen hielt ich PERRY RHODAN immer für ein beeindruckendes und beachtliches Gesamtwerk.
F: Verbindest du ein besonderes Erlebnis oder Ereignis mit PERRY RHODAN?
A: Oh ja. Natürlich war es der Einstieg mit zwölf oder dreizehn Jahren, die Heftetauscherei und begeisterten Diskussionen auf dem Schulhof, die Aburteilung der Lehrer als Trivialliteratur und wie ideal so unterschiedliche Charaktere wie Alaska Saedelaere und Joaquin Manuel Cascal als Identifikationsfiguren für mich in der Pubertät waren. Es ist kein Wunder, dass Voltz und Kneifel immer meine Lieblingsautoren geblieben sind. Sie haben mich in dieser Zeit stark geprägt. Voltz mit seinem humanitären Weltbild, Kneifel mit seiner »weltmännischen« Attitüde.
Die Serie war/ist so stark Bestandteil meines Lebens, dass ich mich zu persönlichen Meilensteinen wie der ersten Liebe, der ersten Arbeit, Heirat, Geburten und Todesfällen fast immer auch an den jeweiligen PR Roman erinnere. Etwas bizarr …
F: Die Autoren und die Redaktion freuen sich immer über konstruktive Kritik. Was gefällt dir bei PERRY RHODAN (NEO) nicht so gut, was würdest du gerne geändert sehen? Hast du Wünsche an die Serie?
A: Bei der Hauptserie kann ich gar nicht mehr richtig mitsprechen, obwohl mir bei den wenigen gelesenen Heften der aktuellen Handlung das Wiedereinbringen der Naats und Tefroder natürlich gefällt.
Teks Tod: Ein weiterer Held meiner Pubertät ist weg. Was soll ich da sagen … Mörder! (Grins)
Was mir als Altleser bei PERRY RHODAN NEO besonders gut gefällt: Wie damals vernachlässigte Figuren – zum Beispiel Eric Manoli – doch noch ihre Sternstunde erhalten. Wie Dinge alternativ angegangen werden: zum Beispiel Adams als Administrator, Crest statt Rhodan mit Zellaktivator. Der verstärkte kulturelle Unterbau, zum Beispiel bei den Mehandor. Das »gedrosselte«, glaubhaftere Tempo im Vergleich zur Originalserie. Scheer und Co. haben zu viel Gas gegeben, sie konnten ja nicht ahnen, wie erfolgreich und langlebig ihre Serie werden würde …
Und natürlich liebe ich die Anspielungen auf die Schöpfer der Serie. Veränderungen wie bei Rico (kam der überhaupt in der Serie vor? Ich erinnere mich an ihn nur aus den ATLAN-Zeitabenteuern und die Comics, die Kneifel getextet hat) irritieren mich eher. Mit vollkommen neuen Figuren kann ich nicht so viel anfangen. Grundsätzlich erhoffe ich mir weiterhin mehr »Bodenhaftung« und kein zu frühes Abgleiten in den inzwischen so komplexen PERRY RHODAN-Kosmos. Ich bin halt Altleser, lese überwiegend mit Nostalgie, und freue mich mit jedem Band darüber, dass die Geschichte bunter und ohne das Schwarz-Weiß der Sechziger-Jahre neu erzählt wird.
Und ich freue mich über und für all die neuen Autoren die ins Team kommen, angesichts eines Marktes, der immer schwieriger wird. Mein Wunsch deshalb: bitte weiter so!
Erlaube mir am Ende noch etwas »Schleichwerbung«: Ich war nie ein Leserbriefschreiber, erst hier von Shanghai aus wollte ich bewusst ein Signal senden: PERRY RHODAN wird weltweit gelesen.
Ein weiterer Wiener (was für ein Zufall!), dem ich von hier (als dauerhafter Leser) geschrieben habe; ist Gerhard Förster. Gerhard hat zur Zeit meiner Ausreise nach China die Herausgabe der »Sprechblase« übernommen und macht das ganz vorzüglich. Und da er mit sehr viel Herzblut und zu kleiner Auflage arbeitet, möchte ich jedem Comic-Interessierten PERRY RHODAN-Leser auch die »Sprechblase« empfehlen. Es gab auch schon mal ein Heft mit dem Schwerpunkt PERRY-Comics …
Und zuletzt: Mein Rechtschreibprogramm kennt den Begriff »Terraner« nicht …
Alle Photos sind Copyright Uwe Hammerschmidt.
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