Vindobene

Ich möcht heute ein bißl was darüber erzählen, wie ich eine neue Figur gestaltet habe – beziehungsweise wie sie mir „passiert“ ist.

Das Manuskript, an dem ich derzeit arbeite, ist im Universum von Dorian Hunter und Coco Zamis angesiedelt, und es hat die nicht immer ganz so liebenswerte Hexe in der Titelrolle. Nun hat Coco einen Auftrag zu erfüllen, über den ich an dieser Stelle gar nix sagen möchte. Aber da die Hexe stets aus der Ich-Perspektive berichtet, ist es  nicht immer leicht, ihre Geschichte so zu schildern, daß der Leser die gesamte Handlung mitbekommt. Mein Roman erfordert eine Nebenfigur, die eine andere Perspektive einnimmt, möglichst eine mit Ecken und Kanten, die gar nicht sonderlich sympathisch sein muß.

Dieser Gedanke kam mir während des Schreibens, lange, nachdem ich mit dem Manuskript begonnen hatte. Ich bemerkte, daß Coco Zamis alleine die Handlung nicht richtig vorwärts brachte. Kurzerhand beschloß ich, ihr einen Sidekick zu geben und ihn in Anlehnung an die römische Bezeichnung für Wien – Vindobona – „Vindobene“ zu nennen. Das ist eine ziemliche Verbalhornung, die in meinen Ohren gut klang und über die ich gar nicht viel nachdachte. Hauptsache war, daß ich einen Anhaltspunkt hatte, von dem aus ich meine Figur entwickeln konnte.

Was soll Vindobene können, was soll er darstellen? Wie kann ich ihm Charakter geben? Was darf er, wo liegen seine Grenzen, wo steht er im Gefüge meiner Geschichte? Das waren nur einige der Gedanken, die in meinem Kopf durcheinanderpurzelten.

Ich wollte jemanden haben, den Coco nicht mochte, den sie aber doch nicht so ohne Weiteres loswerden konnte. Also machte ich Vindobene für sie unangreifbar – und ordnete ihm ganz besondere Eigenschaften zu:  Mein Sidekick lebt von Gedanken, die Neid und Mißgunst beinhalten. Er liebt Heimtücke und Streit, und er fördert sie tunlichst bei den Menschen rings um sich, um sich an all dem zu nähren.

Diese Idee hat mit einer recht stereotypischen Meinung über den Wiener zu tun. Er gilt/galt als Wesen, das gerne vor sich hin „grantelt“, also mürrisch ist  und an allem etwas auszusetzen hat.  (Wer sich noch an den Volksschauspieler Hans Moser erinnert, kann sich übrigens vorstellen, wie der Prototyp eines Grantlers aussieht.)

Diese Ideen vermengten sich, formten sich in meinem Kopf zu einem wachsenden und schrumpfenden Männchen, das grün vor Neid ist, beständig widerlichen Schleim ausspuckt, von schwarzen Wolken verfolgt wird.  Vindobene muß stets hart um seine Existenz ringen. Wenn die Leute rings um ihn all zu freundlich sind, schrumpft er zu einem bedeutungslosen Zwerg zusammen. In einer Atmosphäre des Neids, der Verachtung und des Konkurrenzkampfs wächst und gedeiht er. So wäre das Parlament in Wien zum Beispiel ein idealer Nährboden für ihn, wie überhaupt jedes politische Gremium oder die Wiener Schickimicki-Gesellschaft. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, und ich lasse auf mich zukommen, wohin mich Vindobene in den nächsten Tagen führen und was er mir noch alles offenbaren wird.

Noch weiß ich längst nicht alles über ihn. Woher stammt er, ist er denn tatsächlich ein Dämon oder ganz etwas anderes, darf er meine Geschichte überleben, wie groß wird sein Einfluß auf Coco Zamis sein, wird er eine Veränderung erfahren, wie es eigentlich sein sollte, oder lasse ich ihn stereotyp  bleiben?

Will sagen: Vindobene ist in einen Dialog mit mir eingetreten. Er zeigt mir immer mehr von sich selbst, öffnet sich mir, und da er ziemlich freizügig agiert, werd ich wohl noch einiges mehr über ihn verraten können. Andererseits muß ich drauf achten, daß er meine Heldin Coco nicht übertrumpft. Er darf interessant und geheimnisvoll und bösartig sein – aber er muß im Schatten bleiben. Wie ein richtiger Sidekick eben.

Nun, Vindobenes Reise hat eben erst begonnen, und es kann sein, daß er zu frech wird und ich ihn letztlich wieder entsorge. Doch vorerst darf er Gift und Galle spucken – und mir beim Schreiben sehr viel Freude bereiten.

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