Zu Beginn ein bißl Theorie – und ich bitte darum, Nachsicht mit mir zu üben, wenn ich mich nicht ganz an strenge Definitionen halte, wie sie von Literaturpäpsten vorgeschrieben werden.
Als Autor denke ich meist von Szene zu Szene. (Bitte nicht mit dem Begriff Kapitel verwechseln. Der beschreibt etwas, das viel weiter gefaßt ist.)
Ich definiere also mal mit eigenen Worten: Eine Szene ist ein in sich geschlossener Bereich eines Textes. Eine Szene spielt an einem Ort, mit einem bestimmten Personenkreis, alles geschieht in einem zeitlichen Ablauf. Ändern sich einer oder mehrere dieser Parameter, treten wir in eine neue Szene ein.
Puha, das war’s. Auf zum eigentlichen Grund dieses Textes. Ich möchte erklären, wie ich eine Szene gestalte, wie ich dabei funktioniere. Wohlgemerkt: Diese Arbeitsweise paßt für mich persönlich sehr gut, andere Leute mögen damit gar nix anfangen. Aber vielleicht inspiriert sie den einen oder anderen Schreibinteressierten, mal darüber nachzudenken.
Ich bin, was die Schreibarbeit betrifft, auf starke Bilder angewiesen. Sie sind das Grundkapital meiner Szenen. Sie können ganz banal sein; doch mit den Werkzeugen, die ich verwende, wird manchmal doch etwas recht Feines draus. Und hier ist der Vergleich mit der Arbeit eines Regisseurs an seinem Film ganz gewiß nicht verkehrt.
Ich fabulier jetzt mal einfach drauf los und sage, daß ich einen neuen Science Fiction-Roman mit der Szene eines Duells beginnen möchte, wie man sie aus alten Cinemascope-Western kennt. Es stehen sich zwei Leute gegenüber. Sie starren einander an, warten auf das Zucken des Anderen, die Hände schweben über den Waffengriffen, jederzeit kann die Knallerei losgehen und einer von beiden wird tot umfallen …
Stop! Wir frieren dieses Bild ein. Das ist der Grundstock, der Kern meiner Szene. Von hier aus entwickle ich alles weiter, und bei dieser Arbeit helfen mir all jene Leute, die normalerweise auf einem Filmset herumkrebsen. Einige der Wichtigsten sind Kameramann, Ton- und Lichttechniker. Die drei bring ich mal in Position. Ich frage sie: Soll ich das Duell aus weiter Ferne beobachten, womöglich vom Dach eines Hauses aus, oder geh ich ganz nahe ran? Sehe – und beschreibe! – ich, wie Fliegen über die Gesichter der Duellanten laufen?
Ach ja, wo ist der Zimmermann, wenn man ihn grad mal braucht? Ich hätte gerne eine Straße mit flachen Häusern links und rechts. Wo sind die Statisten, verflixt? Ich hätte gerne ein paar von ihnen links hinten verborgen, hinter einem umgestürzten Planwagen. Ich brauche unbedingt ein paar richtige „Typen“, keine Allerweltsgesichter! Die Sonne und die Wolken! Könnte die jemand so hinhängen, wie ich’s grad brauche? Wozu habe ich bitteschön einen der besten Requisiteure angeheuert?
Der Kameramann sucht noch immer nach dem idealen Blickwinkel. Er ist ein mürrischer Kerl, und ich muß eine Weile mit ihm streiten.Wir einigen uns auf einen Kompromiß: Wir machen mehrere Takes und entscheiden dann, wie wir die Szene lassen. Mag sein, daß wir sie auch mischen, daß wir rasche Zwischenschnitte machen und von ganz weit weg auf ganz nahe an die beiden Hauptdarsteller rangehen.
Der Maskenbildner! Daß ich den vergessen hab! Also bitteschön, ich brauch keinen Menschen, sondern zwei außergewöhnliche Figuren. Sie dürfen aber auch nicht zuuu fremd sein, der Leser möchte die Hauptdarsteller auch „verstehen“ können. Also nehmen wir für den einen Duellanten einen Humanoiden, dem wir eine … hm …, nennen wir’s eine „Rechnerjacke“ umhängen. Einen Ganzkörperanzug, der das Wesen aus Fleisch und Blut vollends einschließt, seine Bewegungen koordiniert, ihn steuert und sich parasitär von ihm ernährt. Ja, das hört sich für den Anfang recht gut an, und mir scheint, das wird der Ganz-ganz-Böse in meiner Geschichte sein.
Nun zur zweiten Figur. Der Maskenbildner blickt mich zweifelnd an. Offenbar frag er sich, ob ich völlig verrückt geworden bin. Was kann man bloß mit solch einer verwahrlosten Gestalt anfangen? Gebrochene Augen, zittriger Körper, ein verkrüppeltes Bein, das durch eine aus dem Steiß wachsenden Metallprothese bloß mangelhaft ersetzt wird. Ich mag den Typen auf dem ersten Blick, auch wenn ich gleich weiß, daß er ein mieser Schweinehund ist und ich ganz gewiß einige Leichen in seinem Keller finden werde. Ja, ich mag ihn – aber ich möcht ihm auf keinen Fall alleine in der Dunkelheit begegnen.
Die Umgebung … hm. Da brauche ich ein bißl Atmosphäre. Exotik. Rätselhaftes. Die Häuser sind mir zu sauber. Ich möchte dreistöckige Pagodenhäuser, aus deren Ölrinnen Techno-Lianen hängen, die sich im stürmischen Wind bewegen. Ab und zu, wenn eine Bö sie erwischt, klirren sie gegeneinander und schlagen dunkle Funken, die das Licht der Sonne auffressen. Aus den Feuerkaminen schlagen meterhohe Flammen. Robo-Teufelchen flitzen darin umher, immer höher, und quietschen vergnügt. Sie wissen, daß sie bald etwas zum Fressen bekommen.
Oh ja. Das gefällt mir. Erklären kann ich noch längst nicht alles, was da vor sich geht, muß ich womöglich auch nicht. Aber der Leser weiß nun, daß er sich auf ungewohntem Terrain befindet. Hier passieren Dinge, die er noch nicht richtig einordnen kann. Der Requisiteur hilft mir, die eigentlich banale Zweikampf-Situation aufzupeppen. Er unterstützt mich optimal bei meiner Arbeit, ich bin zufrieden mit ihm.
Nun kommen wir zu einem Mitarbeiter, den wir nicht vom Film her kennen. Nennen wir ihn den Großen Manipulator. Er ist ein ziemlich mächtiger Kerl, denn dank ihm kann ich die Szene in der Zeit vor- und zurück drehen.
Ich lasse nur so aus Spaß mal das Duell geschehen und der Ganz-ganz-Böse vernichtet meinen geliebten Schweinehund. Mit einer, sagen wir mal, mit einer Art Spritzpistole, deren Inhalt den Gegner mit Firnis überzieht, die den Getroffenen auffrißt. Naja, das ist jetzt nicht sonderlich gelungen, vielleicht überleg ich’s mir nochmal und bediene mich einer herkömmlichen Strahlerwaffe. Aber das Ergebnis ist nun mal: Der Schweinehund ist tot. Ich habe meinen „Helden“ in der ersten Szene meines Romanes niedergemacht.
Ich bin zufrieden mit meiner gedanklichen Arbeit. So könnte die Szene enden. Aber ich muß mir natürlich auch Gedanken drüber machen, wie und warum es zum Duell gekommen ist. Wie sieht die Vorgeschichte aus, warum stirbt mein Schweinehund? Alsdann bediene ich mich erneut des Großen Manipulators und drehe am Zeitrad. Ich gehe weit über die Ausgangssituation hinaus und gleite in die Vergangenheit, womöglich in die Jugend zweier guter Freunde, die sich entfremdet haben. Oder die beiden waren mal ein Liebespaar (Geschlechtsumwandlungen passieren bei mir en passant). Oder ich erzähle einen Vater-Sohn-Konflikt (bzw. einen Mutter-Sohn-Konflikt, wenn ich’s ganz verdreht haben möchte).
Jedenfalls gleite ich eben in die zweite Szene des Romans rein. Kameramann, Requisiteur, Licht- und Tontechniker etc. können hier schon mal einpacken. Vielleicht brauch ich sie später nochmals, die Kulisse bleibt mal bestehen. Es ist ja nicht ungewöhnlich, daß Nachdrehs gemacht werden müssen. Aber ich gehe nun mit Hilfe des Großen Manipulators in die Vergangenheit, in die Vorgeschichte der beiden Duellanten.
Halt! Über die Rolle des Cutters müßte man eigentlich auch noch sprechen. Er hat hier eigentlich noch nix zu tun, aber in späterer Folge, wenn mein „Film“ halbwegs fertiggestellt ist, muß ich ihn zurate ziehen. Er muß die einzelnen Szenen aneinander anpassen, schlechte Dialoge rausschmeißen, ebenso verhunzte Bilder, und sehr präzise Übergänge schaffen.
So ungefähr funktioniere ich bei der Schreibarbeit. Nicht immer, aber doch recht häufig. Von einem einfachen Standbild aus, das frei von allem Firlefanz ist, entwickle ich eine Szene. Ich werde mir über die Struktur im klaren, frage die verschiedensten Fachleute um Rat.
Nun bin ich in Personalunion all diese Mitarbeiter, und es ist nicht immer leicht, die Wünsche und Anforderungen eines jeden einzelnen zu erfüllen. Es ist mitunter recht verwirrend, zehn oder zwölf Personen auf einmal zu sein. Aber darum geht’s nun mal beim Schreiben. Und ich bin eigentlich ziemlich froh drüber, daß ich nur einen einzigen Mitarbeiter bezahlen muß, nämlich mich selbst …
Gefällt mir gut………………