Jetzt, da PERRY RHODAN 2755 in digitaler Form, als Hörbuch und als Heftroman erscheint , möchte ich ein paar kleine Interna über die Diskussionen zwischen der Redaktion, den Expo-Autoren und mir ausplaudern. Es soll veranschaulichen, wie sehr sich alle Beteiligten den Kopf über Inhalte und auch über Reaktionen der Leserschaft zerbrechen. Aber Achtung: Auch wenn ich um Inhalte herumeiere, tu ich weiter unten doch ein bißl spoilern. Wenn ihr euch den Spaß am Roman zur Gänze erhalten wollt, würde ich bitten, daß ihr diesen Text erst nach dem 2755er lest.
Das Exposé zu PERRY RHODAN 2755 bot in zweierlei Hinsicht Diskussionsstoff. Da war einerseits eine Figur, die überraschend auftauchen und einen Aha-Effekt auslösen sollte. Wer das ursprünglich war, darüber möcht ich hier nix verraten. Ich war jedenfalls mit der angebotenen Lösung nicht ganz glücklich und intervenierte bei Klaus Frick, daß ich gerne eine andere Person an ihre Stelle rücken wollte. Eine, die den Leser mehr überraschen würde, und ich hätte da schon jemand Passenden im Kopf. Es handelte sich um Michael Rhodan vulgo Roi Danton.
Und siehe da – ursprünglich hatten die Expo-Autoren ebenfalls Roi in ihre Vorlage reingeschrieben. Aber Klaus Frick war dagegen gewesen, Rhodans Sohn zu verwenden. Er wollte keine bekannte und lange vermißte Persönlichkeit auftauchen lassen, um sie gleich darauf wieder aus der Handlung zu schreiben. Das würde bei den Lesern nicht gut ankommen.
Ich konnte dieses Argument sehr gut nachvollziehen, bot aber dennoch an, einen Versuch mit Roi zu wagen und die Handlung in sich stimmig zu machen. Auch auf die Gefahr hin, daß Klaus mit meiner Lösung nicht einverstanden wäre und ich einen Teil des Romans umstricken müßte. Nun – letztlich hat alles geklappt und Klaus Frick akzeptierte mein Manuskript so, wie ich es abgegeben hatte.
In einer zweiten Diskussion zum PERRY RHODAN-Band 2755 ging es um Folter. Um ein heikles Thema also, das im Roman eines der stärksten und plakativsten Motive darstellt.
Es gibt einige Dinge, die in PERRY RHODAN nur selten und wenn, dann bloß recht sachte, angesprochen werden. Religion gehört dazu, Sex ebenso. Und dann eben auch alle möglichen Formen der Brutalität. Wenn man Vergleiche ziehen möchte, dann geschieht in PERRY RHODAN ähnliches wie in James Bond-Filmen: Es gibt reihenweise Tote, aber man sieht so gut wie nie Blut fließen.
Das ist manchmal doch ein ziemlicher Balanceakt. So möchte ich als Autor sehr gerne in die Gefühlslage eines Menschen eindringen, der in Schwierigkeiten steckt und Intensität erzeugen. Andererseits will ich die Leser nicht vor den Kopf stoßen.
Bereits im Vorfeld bat mich Klaus Frick, das Folter-Motiv nicht zu überstrapazieren – und ich habe mich, so gut es geht, daran gehalten. Wir alle wissen, was für schlimme Dinge auf dieser Welt geschehen. Wir können und wollen sie nicht immer sehen. Manchmal ist es einfach zuviel für den menschlichen Verstand, zu wissen, wozu wir Menschen imstande sind. Bilder der Folter schrecken uns, lassen uns nicht schlafen, bereiten uns großes Entsetzen. Und für diese Form des Entsetzens ist PERRY RHODAN ganz gewiß nicht das richtige Medium.
Ich schreibe manchmal bei Horror-Serien mit oder verfolge eigene Projekte. Dort mache ich mir über Folter, Schmerz, Grausamkeiten etc. mitunter meine Gedanken und verwende diese Motive auch plakativ. Aber nicht in der PERRY RHODAN-Serie, die von einem bunt gemischten Autorenteam getragen wird und die eine nun schon weit über fünfzigjährige Geschichte atmet. Es käme mir als Verletzung meines Berufsethos vor, würde ich in einem Roman zur Serie viel weitergehen, als ich es in 2755 getan habe. Hier habe ich meine Grenzen erreicht – und es würde mich interessieren, was ihr, die Leser, dazu meint. Was darf und soll man dem PERRY RHODAN-Leser zumuten?
In diesem Zusammenhang möchte ich zum Schluß noch eine kleine Geschichte weitergeben, die mir Ernst Vlcek mal erzählte: Als der Cantaro-Zyklus im Laufen war, hatte er einen Leserbrief erhalten, in dem der Schreiber als Überlebender des Zweiten Weltkriegs sein Erschrecken zum Ausdruck brachte. Es war kein erboster Leser, der da schrieb. Er drohte auch nicht damit, mit dem Lesen von PERRY RHODAN zur Gänze aufzuhören. Aber er hätte immer mehr und immer schrecklichere Parallelen zwischen der Nazi-Herrschaft und der der Cantaro gefunden. Alte Wunden seien bei ihm wieder aufgebrochen. Für ihn wäre dieser Teil der Handlung unerträglich geworden, er könne in diesem Zyklus nicht mehr weiterlesen.
Ernst war einer der liebenswürdigsten Menschen, dem ich jemals begegnet war. Trotz seiner Vita, die ihn immerhin als Schöpfer einer ziemlich abgedrehten und deftigen Horror-Heftromanserie sah, erschrak er heftig angesichts dessen, was er bei diesem einen Leser in Erinnerung gerufen hatte. Das wäre, seiner Meinung nach, wahrer Horror gewesen …
Das Bild ist Copyright Verlag Pabel-Moewig.
Du möchtest wissen, was man dem PR-Leser zumuten darf. Ich kann nur für mich sprechen, aber mir darfst du alles zumuten – nur keine langweiligen Romane. Tust du ja auch eher nicht 😉
Mit der Gewaltdarstellung ist es wie mit allen anderen „problematischen“ Themen: Wenn du ein bestimmtes Ziel damit verfolgst, die Darstellung im Kontext des Romans also sinnvoll ist, wenn es der Handlung dient, wenn es die Spannung steigert – bitteschön, immer her damit. Dann darf Blut fließen. Viel Blut. Auch zum Beispiel Ronald Tekeners Blut. DAS war, wie ich früher schon schrieb, meiner Meinung nach ein äußerst gelungener, wenn auch aus verschiedenen Gründen ziemlich brutaler Moment.
Wenn die Gewaltdarstellung aber Selbstzweck ist oder du damit einfach nur schockieren willst, dann finde ich das nicht gut. Wohlgemerkt: Mich stößt dann weniger die Gewaltdarstellung an sich ab, sondern die Art und Weise, wie sie eingesetzt wird.
Servus Jo,
da geh ich d’accord mit Dir. Gewaltdarstellung sollte im Text immer eine Funktion haben, sie darf nie sinnlos/sinnentleert sein, sondern muß etwas erklären. Das gilt zumindest für PERRY RHODAN, und wenn das mal nicht so richtig rübergekommen ist, dann war es eindeutig mein Fehler.
Wobei ich mal wirklich gerne einen richtigen Splatter-Roman schreiben möchte. Das hat aber eher damit zu tun, daß ich gerne experimentiere. Ich will mich irgendwann mal auch am Historienroman versuchen, an einem Porno-Roman, an einem Noir-Krimi … Bloß, um das alles mal durchprobiert zu haben.
Schöne Grüße, Michael
Was ich persönlich bei Deinen Romanen nicht begreife, ist, warum Du oft diese „heiße Eisen“ anpacken musst. Da frage ich mich, suchst Du Dir diese Themen speziell aus weil sie Dich reizen oder ist Dir „Normales“ zu schreiben schlicht zu fade.
Bei PR hast Du Dir, meiner Einschätzung nach, unter den Fans einen guten Ruf erarbeitet, dennoch gehst Du konsequent immer einen Schritt weiter. Du lässt einen beliebten Charakter (Tekener) über die Klinge springen und im vorliegenden Roman folterst Du nach Strich und Faden Rhodan selbst.
Als Du noch für MADDRAX geschrieben hast, waren Deine Romane auch nie ohne. Besonders mit Aruula bist Du häufig echt böse umgegangen und ich meine mich zu erinnern, dass Du sie gerne töten wolltest, es Dir aber (Gott sei dank) seitens der Redaktion nicht gestattet wurde.
Ebenso fallen mir Romane von „Das Haus Zamis“ ein, wo Du Coco einmal in einem Roman eine elendig lange Vergewaltigung hast durchleiden lassen. Ich konnte das nicht lesen und habe es überblättert. (An sich ist beim „Haus Zamis“ der Härtegrad häufig unschön hoch).
Und was ich über den kürzlich veröffentlichten Roman „Der Gottbettler“ so gelesen habe, habe ich den Eindruck, dass es darin ähnlich roh zugeht.
Für mich steht da einfach die Frage nach dem „Warum“ im Raum. Muss es bei Dir immer soviel Gewalt und Brutalität geben? Gibt das dem Autoren in Dir einen Kick? Bist Du der Meinung, das eine gute Geschichte von Leid, Blut und Tod profitiert?
Servus Finsterfee,
um das kurz zu beantworten: Ich bekomme beim Schreiben keinen Kick und ich verherrliche Gewaltszenen auch nicht. Aber es reizt mich als Autor, Möglichkeiten auszuloten. Ich bemühe mich, in Extremsituationen ganz nahe an die handelnden Menschen ranzugehen, mich in sie reinzuversetzen, mit ihnen zu empfinden, ihre Welten zu verstehen. Sprich: in die Haut der Handlungspersonen zu schlüpfen, sie zu werden. Das ist mithin das Spannendste am Schreiben.
Und natürlich sehe ich es als meine Aufgabe als Autor, den Leser zu reizen, manchmal auch störende und irritierende Elemente in die Texte reinzubringen. Das klinisch Saubere und Glatte ist nicht so meine Sache. Deshalb bin ich immer sehr dankbar, wenn ich z.B. bei PERRY RHODAN ein provokantes Thema von der Expokratur vorgelegt bekomme.
Schöne Grüße, Michael
Guten Abend aus dem niederbayerischen Rottal,
vor ein paar Minuten habe ich „Der Schuldmeister“ zu Ende gelesen.
Ich denke, das Thema „Folter“ lässt sich auf gerade mal 53 zweispaltigen Heftseiten nicht ausleuchten.
Trotzdem bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Zum einen wurden die Härten körperlicher Gewalt (mit Ausnahme von Rhodans robotischer Züchtigung kurz nach seiner Ankunft auf Kaidhan) auf eine gleichwohl bedrohlich-beängstigende, mental aber eher „weiche“ Ebene verschoben, zum anderen Macht und Ohnmacht, also die Erbärmlichkeit des Folterknechts anschaulich und mitreißend geschildert.
Intellektueller Höhepunkt war für mich, wie Rhodan beinahe wortwörtlich William von Baskerville aus Ecos „Der Name der Rose“ zitiert und auf die methodische Nutzlosigkeit von Foltergeständnissen verweist. Auch sein pseudopsychotischer Ausbruch nach der Entlarvung Michael Rhodans als „Roi Danton Puppe“ erinnert an das irre Gelächter eines Berengar von Arundel, wie er vor der Grausamkeit des Inquisitors Bernard Gui den einzigen Ausweg findet: Dissoziation.
Damit zur Frage: „Was kann man einem PR-Leser zumuten?“.
Ich vertrete den Standpunkt:
ALLES, nur nicht stilistische Nachlässigkeit und irrationales PSI-Geschwurbel.
Natürlich mag es sein, dass Leser, die „nur“ (was völlig OK ist!) auf leicht verdauliche Literatur gestimmt sind und sich Entspannung via spannender Geschichten erwarten, von rezeptiven Bezügen zu real erlebten Traumata (ich meine den Leserbrief zum Cantaro/Nazi-Zyklus) schwer getroffen werden.
Das zeigt doch aber gerade die Qualität der Serie, es geht eben nicht um einen Elfenbeinturm aus Mächtigkeitsballungen und abgehobenen hypertechnischen Selbstreferenzen, sondern um Nachdenken und fiktionale Phantasie, die das gegenwärtige Leben der Leserschaft berührt und anspricht.
Oder täusche ich mich da?
Kann ja sein…
Ad astra, Klaus
Servus Klaus,
ich persönlich geb Dir durchaus recht, Du hast das sehr schön formuliert. Es gibt aber auch Leser, die an ihren wöchentlichen PERRY RHODAN ganz andere Maßstäbe ansetzen. Auch solche, die „Psi-Geschwurbel“ durchaus mögen. Diese Vielfalt an Lesermeinungen müssen wir Autoren respektieren. Ich nehme deshalb jede – auch und vor allem – negative Kritik an diesem Roman sehr ernst.
Schöne Grüße, danke für die Wortmeldung,
Michael
Yo MMT,
gerade Heft gelesen.
Heißes Thema – super aufgedröselt.
Gerade nach der leidvollen Erfahrung, wie schwierig es ist, Konsequenzen aufzuzeigen und durchzuziehen – ggf. tiefe tabuisierte Emotionen aufbrechen zu lassen und womöglich einen (zweiten) Shitstorming auszulösen.
Bewundernswert mutig.
Nach wie vor gilt :
Du bist (für mich) der „Beste“ (neben Wim) im PR-Team.
Servus Honor,
danke fürs Lob. Ich denke, daß PR auch sehr stark von den Emotionen lebt. Ich würde mir im Gegenteil Sorgen machen, wenn niemand mehr auf heikle Themen reagiert, egal, ob nun positiv oder negativ.
Schöne Grüße, Michael
Ich habe den Roman gestern gelesen und finde, Du hast Deine Sache sehr, sehr gut gemacht, vor allem Angesichts des schwierigen und konroversen Themas. Ich muss gestehen, dass Folter für mich als Handlungselement kein Problem darstellt, sofern sie nicht verherrlicht wird. Ich schreibe selbst (hauptsächlich Fanfiction auf Englisch) und habe für mich die Erfahrung gemacht, dass einige Themen (wie Folter und der Tod geliebter Charaktere) einfacher sind, wenn ich sie selbst schreibe als wenn ich darüber lese. (Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass ich als Autor die Kontrolle über die Situation habe, während ich ihr als Leser hilflos ausgeliefert bin…) Auch in diesem Fall war der Roman nicht immer leicht für mich zu lesen, was in erster Linie bedeutet, dass er Perrys Erfahrungen gut und glaubhaft rübergebracht hat.
Da der Folteraspekt für mich kein Reizthema war, ist mir etwas anderes aufgefallen, und zwar sehr positiv: Perrys Reaktion auf die Behandlung des Wesens (Dings?), dass er für seine Sohn hielt. In der Hinsicht war es sehr schön, ihn mal wie einen normalen Menschen reagieren zu sehen, ohne dass dabei seine ikonischen Charakterzüge völlig aufgegeben wurden. Sein Verhalten war alles andere als perfekt, aber ich habe ihn schon lange nicht mehr so gerne gehabt.
Ich habe keine Ahnung, wer urspünglich an Michael Rhodans Stelle eingesetzt werden sollte, aber ich bin froh über den Tausch, und dankbar, dass Du ihn durchgesetzt hast. Nach so langer Zeit war es schön, mal wieder was von ihm zu lesen, und auch, wenn er nicht echt war – Perrys Gefühle waren es schon. Und so kamen sie auch rüber.
Vielen Dank für diesen Roman!
Danke fürs Lob, das freut mich!
Was den Tausch zu Michael Rhodan betrifft: Solche Sachen kommen in so einer komplexen Geschichte wie PERRY RHODAN immer wieder vor. Der wöchentliche Roman ist ja nicht die Kopfgeburt eines Einzigen, sondern da sitzen viele, viele Leute dran. Und die Hierarchien innerhalb des Arbeitssystems sind sehr flach. Wenn man der Meinung ist, daß diese oder jene Lösung besser ist, hören einem alle anderen Beteiligten gerne zu. Das liebe ich bei PR.
Schöne Grüße, danke nochmals, Michael