Aus der Familienchronik

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Meine Familiengeschichte ist nicht außergewöhnlich, aber sie spiegelt den Wandel der Welt und der Werte im Laufe des 20. Jahrhunderts sehr schön wider. Ich hab schon einmal über meinen Großvater erzählt (Großvater und Rapid). Diesmal möcht ich ein wenig über seine gescheiterte erste Ehe erzählen – und wie er meine Großmutter kennenlernte.

Mein Urgroßvater mütterlicherseits (Heinrich) war ein Hallodri und offenbar auch ein ziemlicher Depp. Er verhurte, versoff und verspielte großen Landbesitz in einem der damaligen Vororte Wiens und verdingte sich letztlich als Bierkutscher für die Ottakringer Brauerei. Immerhin schaffte er es, das Haus der Familie zusammen zu halten, ein typisches Biedermeier-Haus mit Innenhof und einem einstöckigen Hauptgebäude. Dort lebte er mit seiner Frau und letztlich fünf Kindern bis zum Ende seines recht kurzen Lebens.

Mein Großvater Rudolf kam 1897 als viertes Kind zur Welt. Er mußte in den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs dienen und überlebte irgendwie, um anschließend in Wien die Gesellen- und Meisterprüfung zum Goldschmied zu machen.
Ich kann mir die Lebensumstände zum Ende der K.u.K.-Monarchie kaum vorstellen. Es gab kaum etwas zum Essen, die Menschen waren ausgelaugt und geschwächt vom Krieg, die Spanische Grippe wütete, ein großes Reich war auf einen bescheidenen Rest, das heutige Österreich, zusammengeschrumpft. Bald würden dem Land politische Unruhen drohen, eine galloppierende Inflation, extreme Arbeitslosigkeit … In diese Zeit hinein fiel also der Beginn der beruflichen Karriere meines Großvaters als Goldschmied.

Sein älterer Bruder, der wie sein Vater Heinrich hieß, hatte eine Frau kennengelernt. Leona. Den Erzählungen nach war sie von einer herben Schönheit, hartherzig und herrschsüchtig. Aber sie besaß auch eine kühle Ausstrahlung, mit der sie Heinrich einfing – und er versprach ihr die Ehe. Kurz vor der Hochzeit bekam Heinrich allerdings kalte Füße – und flüchtete. Über den großen Teich hinweg, nach Amerika, möglichst weit weg von der zukünftigen Frau und seinem Heiratsversprechen.
Man kann es sich heutzutage gar nicht mehr so richtig vorstellen, aber mein Großvater fühlte sich verpflichtet, die versprochene Braut seines älteren Bruders zu ehelichen. Um die Familienehre zu retten, um einen Skandal gering zu halten. Also heiratete er eine Frau, für die er nichts empfand (und umgekehrt ebenso). Er mochte zwar die Familie seiner Frau, deren Eltern und Geschwister und Nichten, konnte aber mit Leona selbst nichts anfangen.

Doch sie war ehrgeizig und gemeinsam schafften sie es, 1928 am Margaretengürtel (5. Wiener Gemeindebezirk) ein erstes Juweliergeschäft zu eröffnen. Mein Großvater hatte „Schmäh“. Er wußte, wie er die – vor allem weiblichen – Kunden zu packen hatte. Mit viel „Küßdiehand, gnä Frau“ und „mei, schauen Sie heut wieder gut aus“.
Das Geschäft lief gut und sollte sich bis zum Jahr 1942 am selben Standort halten. Allerdings kriselte es in der Ehe meines Großvaters mit Leona gewaltig. Man kann jetzt gar nicht sagen, daß sich die beiden auseinandergelebt hätten, denn sie hatten ja nie zueinander gefunden. Im Jahr 1939 zogen die beiden auseinander und führten getrennte Leben. Darüber hinaus lernte mein Großvater eine junge Frau kennen, die ihn über alles liebte und für die er ebenfalls sehr viel empfand, trotz eines Altersunterschieds von zwanzig Jahren. Meine Großmutter Franziska und er wurden Anfang der Vierziger Jahre ein Paar, 1942 und 1943 kamen ihre ersten beiden Kinder zur Welt.

Leona wollte sich nicht mit einer Trennung und der „Schande“ abfinden. Sie warf meinen Großeltern einige Knüppel zwischen die Beine. Mein Großvater wurde wegen des Bruchs des Ehegelöbnisses im Jahr 1942 für einige Tage ins Gefängnis gesteckt und mußte beweisen, daß die Ehe längst zerrüttet gewesen war. Darüber hinaus zapfte Leona geschäftliche Beziehungen an und sorgte dafür, daß mein Großvater im Alter von 45 Jahren nochmals in den Krieg ziehen mußte, an die Ostfront, nach Polen …
Nun, er kehrte zurück und er baute seinen Juwelier-Betrieb neu auf, der auf seinem Höhepunkt in den Sechzigern einer der größten in der Branche mit etwa 50 Arbeitern und Angestellten werden sollte. Doch das ist eine andere Geschichte.

Um nochmals auf meine Großmutter zurück zu kommen, so gibt es ein sehr pikantes Detail – und damit ist der Grant von Leona vermutlich besser zu verstehen. Mein Großvater hatte seine zukünftige Frau von ihren frühesten Kindheitstagen an gekannt – denn sie war eine Nichte von Leona gewesen. Innerhalb der Familie wird erzählt, daß mein Großvater sie bereits als Säugling auf dem Schoß sitzen hatte und ihr die Windeln gewechselt hätte …

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