Fünf Dinge, die ich beim Übersetzen von Sexszenen gelernt habe

(Ein Gastbeitrag von Jery Schober.)

In meiner Tätigkeit als Übersetzerin bekomme ich häufig Aufträge für Liebesromane, und in den meisten war bis jetzt mindestens eine Sexszene. Meistens sogar mehrere. Mein Rekord liegt bei zwölf Sexszenen in einem Buch. In diesem Beitrag versuche ich, meine Erfahrungen aus dem Übersetzen und auch dem Schreiben von erotischen Szenen zu umreißen.

  1. Sex ist integraler Teil der Handlung, keine Draufgabe

Eine Sexszene ist eine Szene wie jede andere auch. Sie sollte die Handlung voranbringen und neue Facetten des Charakters enthüllen.

Ausnahme: Reine Erotikgeschichten, oder, wie ich sie nenne, literarische Pornos. Da ist der Sex die Handlung. Was nicht heißt, dass nicht auch in Pornos die Handlung vorangetrieben und die Charaktere gezeigt werden können;-)

Wenn es detaillierte Sexszenen in einem Fantasyroman oder Thriller gibt, wo LeserInnen nicht von vornherein darauf eingestellt sind, dann sollten sie besser zur Handlung beitragen, sonst sind sie … nun ja, ziemlich überflüssig und könnten die LeserInnen irritieren.

Sexszenen können die Annäherung der Charaktere zeigen. Oder auch, wie sie sich voneinander entfernen. Damit kann Spannung aufgebaut oder gelöst werden. Eine Sexszene ist mehr als der reine Kopulationsakt. Verpass nicht die Chance auf Charakter- und Plotentwicklung, indem du sie darauf beschränkst.

  1. Ausdrücke und Sprache

Überleg dir vorher, welche Ausdrücke du in der Sexszene verwenden willst. Welche passen zur Welt, zu den Charakteren? Die eine Frau bezeichnet ihre Vagina vielleicht verschämt als »da unten«, eine andere sagt Muschi dazu. Der eine Mann gibt seinem Penis einen Namen, der andere spricht stolz von seinem Liebeshammer. Was auch immer du wählst, sei konsistent. Wechsle nicht mittendrin die Ausdrucksweise.

Vermeide zu klinische Ausdrücke voller Fremdwörter (es sei denn, der Charakter hat tatsächlich diese Ausdrucksweise). Und falls du je in Versuchung gerätst, die Sexszene in deiner Fantasywelt mit Wörtern wie »Zauberstab«, »Liebesgrotte« und »Säule veritabler Männlichkeit« zu beschreiben … lass es. Das löst kein erotisches Kribbeln aus, sondern einen Lachanfall.

Und wie sehr wünschte ich, dass ich mir letzten Begriff nur ausgedacht hätte …

Von einem Verlag bekam ich sogar ein Style Sheet mit Ausdrücken für Geschlechtsteile, die akzeptiert werden, und solchen, die nicht verwendet werden dürfen. Durchaus erheiternd, aber mit dem ernsten Hintergrund, dass einige Autoren und Übersetzer »Schwengel« und »Kolben« wohl für angemessen halten. Was es für die Art von Büchern, die dieser Verlag herausbringt, nicht ist.

Wenn du unbedingt eine blumige Sprache verwenden willst, dann achte darauf, dass es nicht zu kitschig wird. Und wenn es dir peinlich ist, die Dinge beim Namen zu nennen, und du deshalb die Säule veritabler Männlichkeit für besser hältst als Schwanz – warum schreibst du dann überhaupt eine Sexszene hinein? Dann blende lieber nach dem Kuss aus.

  1. Emotionen sind wichtiger als detaillierte Beschreibungen des Akts

ladybug-248481_1280Die LeserInnen haben in der Regel schon Sex gehabt. Sie wissen, wie das geht. Wichtiger als eine exakte Beschreibung, wie der Akt abläuft, wo welches Körperteil gerade steckt oder wie wer berührt wird, ist die emotionale Ebene.

Eine Sexszene ist einer Kampfszene ähnlich. Es gibt Action, viel Bewegung, viel Körpereinsatz, aber was so eine Szene erst wirklich interessant macht, ist, wie der Charakter darauf reagiert. Was er dabei empfindet. Welche Auswirkung die Umgebung hat. Welche Folgen sich ergeben.

  1. Recherche ist essentiell

Wir wissen alle, dass wir nicht blind alles glauben sollen, was auf Wikipedia steht. Das trifft auch auf Recherche zu Sex zu. Und ja, ich muss teilweise umfangreich recherchieren. V.a. bei BDSM-Romanen, wo viele englische Begriffe verwendet werden, bleibt es nicht aus, dass ich mich erkundige, ob es wirklich keine deutsche Entsprechung gibt, und mich schlau mache, wie das Ganze in der Szene bezeichnet wird.

Falls man sich nicht auskennt, gilt auch hier wie bei jeder Recherche: Lies es nach. Frage nach. Such dir Experten und rede mit ihnen. Hör dich in Foren um. Die Leute sind meistens überaus hilfsbereit und geben gerne Auskunft. Wikipedia ist ein Anfang, reicht aber nicht immer. Grab tiefer. Forsche nach.

Beim Übersetzen hilft es, wenn ich eine genaue Vorstellung von dem habe, was ich übersetze, damit es authentisch klingt. Egal ob Schweißtechnik oder Sport, es macht die Übersetzung runder, wenn ich gut informiert bin.

  1. Bedenke, in welchem Genre du schreibst

Unterschiedliche Genres verlangen unterschiedliche Sprache, Atmosphäre und Stil. Sei dir bewusst, wo deine Geschichte hineinfällt. Falls du Klischees brechen willst, dann sei dir auch bewusst, dass es negative Folgen haben kann (Kaufverweigerung der LeserInnen, schlechte Rezeption).

Ich arbeite für Leute, die mit Büchern Geld verdienen wollen. Egal ob Verlagshaus oder Selfpublisher, keiner gibt eine Übersetzung in Auftrag, um das Ego zu streicheln. Eine Übersetzung kostet Geld, und dieses Geld muss wieder eingenommen werden. Und das gelingt am ehesten, wenn man das Zielpublikum kennt und weiß, was es will und was nicht.

Ich darf am Inhalt des Buches nichts ändern, aber es ist meine Entscheidung (und die des Lektorats), ob ich schreibe »er fiel auf die Knie«, »er knallte mit den Knien auf den Boden« oder »er ließ sich auf die Knie sinken«. Dreimal der gleiche Vorgang, aber mit unterschiedlicher Wirkung und Aussage. Welche Variante ich wähle, hängt von Genre und Stimmung des Buches ab.

Bei romantischen Büchern steht die Romantik im Vordergrund. Bei Liebesgeschichten im Biker-Milieu darf die Sprache ruppiger sein, bei Science Fiction kann sie technischer werden, in High Fantasy sind archaische Ausdrücke erlaubt. Liefere mit deiner Geschichte ein stimmiges Gesamtpaket ab, bei dem die Sprache nicht negativ hervorsticht, weil sie als unpassend empfunden wird.

Zum Thema Romantik erwähne ich als typische Episode meiner Übersetzer-Tätigkeit gerne das eine Mal, als ich von einem Verlag einen Auftrag über einen BDSM-Roman bekam mit der Anweisung: »Da ist eine Darmspülung drin. Lass es romantisch klingen.«

Bonuspunkt 6. Wohl dem, der seinen Browserverlauf nicht löscht …

Eine unerwartete »Nebenwirkung«, die ich nicht bedacht hatte: Wenn man Übersetzungen googelt von Begriffen und Dingen, um erstens herauszufinden, was das überhaupt ist, und zweitens ob es dafür eine deutsche Entsprechung gibt oder ohnehin der englische Begriff verwendet wird, landet man irgendwann auf Webseiten, die diese Dinge zum Kauf anbieten. Unter anderem auch Amazon. Und Amazon ist bestrebt, dem Kunden beim nächsten Mal etwas vorzuschlagen, was ihn schon das letzte Mal interessiert hat, um Amazons Verkaufschancen zu erhöhen.

An und für sich kein Problem, und nach ein paar Suchanfragen nach Büchern vergisst Amazon auch, dass diese Kundin mal Flogger und Peniskäfige durchforstet hat. Aber wenn du beim nächsten Besuch auf der Amazon-Seite deiner Mutter was zeigen willst und vergessen hast, Cookies und Browserverlauf zu löschen … Nun ja, sagen wir, du kannst dich auf fragende Blicke einstellen. 😉

 

Jery Schober arbeitet als literarische Übersetzerin und schreibt völlig unepische Fantasy-Romane, in denen die Protagonisten nicht daran interessiert sind, die Welt zu retten, weil sie genug damit zu tun haben, den nächsten Tag zu erleben.
Auf www.marmorundton.wordpress.com bloggt sie von den Kämpfen und Kompromissen mit ihrer Muse. Ihr findet sie auf Twitter unter Jery Schober auf Twitter und auf Instagram unter Jery Schober auf Instagram.

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Jery Schober sagt:

    Hat dies auf Marmor und Ton – Autoren schreiben mit MUT rebloggt und kommentierte:
    Für einen weiteren Artikel für Michaels Blog habe ich ein paar Gedanken zu Sexszenen zusammengetragen, aus meiner mittlerweile reichhaltigen Erfahrung vom Übersetzen und Schreiben derselben 😀

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