Wie schon im vergangenen Jahr möchte ich auch im heurigen Spätherbst (ehemaligen) Schreibcamp-Besuchern die Gelegenheit geben, mein Blog zu kapern. Sie können berichten, was sie wollen. Einzige Bedingung ist, daß ihr Text mit dem Autorendasein in Verbindung stehen muss.
Den Anfang macht heuer Andreas Prodehl. Ich hatte schon mehrmals das Vergnügen, ihn bei meinen Schreibcamps mit dabei zu haben. Was es mit dem titelgebenden Fossil auf sich hat, das wird er euch jetzt berichten. Ich bitte also Andi Prodehl vor den Vorhang.
Wie erschaffe ich ein lebendiges Fossil?
Diese Frage stellte sich mir vor einigen Jahren, als ich mit der Idee zu einer Science Fiction-Miniserie bei dem für mich ersten Schreibseminar bei Michael Marcus Thurner in Wiener Neustadt aufschlug. Die Antwort des Herrn Thurner fiel mit »Lass es« bezeichnend aus. Ich hatte Michael sofort und für alle Zeiten ins Herz geschlossen. Trotzdem und vor allem selbstverständlich ignorierte ich seinen gut gemeinten Rat und wate seitdem knieftief in der Sch…! Heute, zwei Veröffentlichungen von »Fossil« später, weiß ich, was genau er mir damals mit »Lass es« sagen wollte. Ein Serie – selbst eine Miniserie – ist für einen Schreibeinsteiger (ich mag das Wort Anfänger so gar nicht) kaum handelbar.
Zumal sich in meinem speziellen Fall Leben und Umstände und überhaupt alles andauernd irgendwie zu ändern scheint. Wie meinen? Das Leben ändert sich? Ja, ich weiß, wir alle unterliegen diesen stetigen Umwälzungen, kennen Situationen, in denen wir Dinge verändern müssen, nur zu gut, nur in meinem Leben bin ich – zugegeben – meistens auch noch selbst schuld an solchen Veränderungen. Ich springe nämlich gerne ins kalte Wasser.
Vergleiche ich die Situation von damals mit der heutigen, hat sich mein Schreiben ganz sicher verändert. Es hat sich hoffentlich die Qualität gesteigert und die Ernsthaftigkeit, mit der ich generell Texte und Storys gestalte, ist eine andere geworden. Sogar die Kommasetzungsqualität soll sich verbessert haben – sagt man. Hätte mir allerdings jemand gesagt, dass ich von meinen Story-Ideen Nullkommanix umgesetzt, und anstatt der neue Stephen King zu werden, Tourguide in Schottland spielen würde, dann wäre sicher einer von zwei Zeigefingern tippenderweise an meiner Stirn gelandet. So kann es gehen. Man könnte es auch »unstet« nennen und wenn ich so drüber nachdenk …
Dieses Frühjahr schrieb ich eine Kurzgeschichte über einen Dämon und einen alten Mercury 49 und ließ das »Fossil« mehr oder weniger links liegen. Die Story, deren Nachfolger ich gerade zu Papier bringe, wurde inzwischen fünfzehnmal und sehr erfolgreich mit befreundeten Musikern als musikalische Lesung live aufgeführt.
Ein Jahr davor inspirierte mich der Song eines – wie kann es anders sein – befreundeten Musikers, zu einem ganzen Buch, das locker miteinander verwobene Shortstorys beinhaltet. Auch hier standen wir bestimmt zwanzigmal auf der Bühne, lasen im Dialog und brachten Songs, die wir zu den Storys geschrieben hatten, einem begeisterten Publikum dar. Nur das Fossil darbte so vor sich hin.
Irgendwann entschloss ich mich doch noch dazu, das Fossil final zum Leben zu erwecken, zumal ich irgendwo tief in mir, dort, wo noch nie ein Mensch zuvor … ein mindestens grandioses Finale meiner ach so geliebten Miniserie entdeckt habe.
Aber was wollte ich eigentlich ursprünglich mit diesem Artikel bezwecken? Es ging um Änderungen, Veränderungen, um Umbrüche, die im Leben, wie auch beim Schreiben geschehen können.
Der Ursprungsplot von Fossil beispielsweise veränderte sich zweimal gewaltig, um nicht zu sagen: dramatisch. Einmal kam der Impact von außen, ein Ereignis, das ich kaum vorhersehen konnte, und auf das ich reagieren musste, wollte ich das Ganze nicht einstampfen. Zum Zweiten änderte sich die Prämisse, ausgelöst durch die Idee für ein Finale, welches nun, wie bereits erwähnt, mindestens grandios werden wird.
Änderungen ergeben sich ebenfalls und erstaunlicherweise permanent beim Transferieren der Plotideen vom Whiteboard auf Papier bzw. ins Schreibprogramm. Man steckt bis zu den Ohren im Schreibprozess, hält sich sklavisch an den akribisch (räusper) ausgearbeiteten Plot und auf einmal findet man sich in Bochum am Hauptbahnhof statt am anvisierten Münchener Flughafen wieder. Man freut sich über das gelungene Tagwerk und übersieht dabei das Ziel. Klassischer Navigationsfehler. Target lost! Nun gilt es, eins von beiden zu ändern, also die Richtung neu zu bestimmen oder zum ursprünglichen Ziel zurückzugelangen. Gelingt übrigens nicht immer, dann braucht man einen neuen Ansatz – auch nicht ganz einfach und oft mit tiefen Depressionen einhergehend, was mir Kollege MMT sicher bestätigen wird.
Meist entscheidend für das Gelingen einer guten Geschichte sind gute, interessante, klischeefreie, und vor allem stimmige Personen, die deine Story tragen. Nur leider trotz aller Anstrengungen nicht zu verhindern, ist das erstaunliche Eigenleben dieser Freaks. Typen, an denen man wochenlang gefeilt hat, die aber partout das Gegenteil von dem machen wollen, was man mit ihnen vorher in endlosen Sitzkreisrunden besprochen, ausdiskutiert, vertraglich festgehalten hat. Die Gauner halten sich an nichts, überhaupt nichts. Ich schreibe hier keinesfalls über Unwichtiges wie körperliche Eigenschaften. Mir doch egal (gelogen) ob mein männlicher Hauptdarsteller in Band 1 rote Augen und weiße lange Haare besitzt und in Band 2 dann auf einmal Susi heißt und kastanienbraune Haare und Augen sein Eigen nennt. Das ist nichts, was man nachher in Band 3 nicht mit einer überraschenden Geschlechtsumwandlung erklären könnte, gerade in Zeiten der Transgenderdiskussionen. Aber darum geht es hier nicht.
Es ist nämlich viel schlimmer, unterliegen die Charaktere der Darsteller ständigen Veränderungen. Meine Hauptdarsteller – und zwar alle – verändern sich beispielsweise mit den verschiedenen TV-Serien, die ich mir auf der Couch liegend, während ich eigentlich schreiben sollte, anschaue. Ich ertappe mich oft, wie z.B. Simon Shaw, der Protagonist aus Fossil, sich wahlweise anhört wie Clint Eastwood, Woody Allen, Jon Snow oder, Shaw ist ja Professor, Heinz Sielmann bzw. Harald Lesch.
Mein Schreibprogramm bietet mir hier eine eigene Protagonistendatenbank, die ich mit körperlichen, aber auch charakterlichen Eigenschaften der verschiedenen Darsteller füllen kann und die sogar mit dem Originaltext virtuell verbunden ist. Jedesmal, wenn ich den Namen von Simon Shaw schreibe, verändert sich der Name zu einem Link zur Datenbank. Bin ich mir unsicher und möchte ein Merkmal nachschlagen, klicke ich nur auf den Namen, schaue im Register nach und verhindere so größere Kohärenzen. Für Hasenhirne wie mich eine ziemliche Erleichterung.
Das beste Beispiel für Veränderungen habe ich übrigens mit diesem Artikel geliefert. Ging es doch laut Titel ursprünglich gar nicht um Veränderungen. Aber das hat sich jetzt halt so ergeben.
To be continued …

Andreas Prodehls Serie mit dem Titel Fossil ist mittlerweile beim zweiten Band angelangt, am dritten Teil arbeitet und feilt Andi gerade. Wenn er nicht gerade in Schottland Tourenführer spielt, auf der Bühne musiziert, Geschichten vorträgt oder irgendwelche Texte schreibt, die nichts mit dem Fossil zu tun haben.
Sprich: Andi ist der ungekrönte pfälzische Meister der Selbstablenkung – und das macht ihn auch so sympathisch. Abgesehen davon hat Andi während der letzten Jahre enorme schriftstellerische Fortschritte gemacht. Liebhaber von actionreichen Krimis, Mystery-Geschichten und Spannungsromanen kommen beim Fossil so richtig auf ihre Kosten.
Auf Andis Homepage gibt es nebst einem ausführlicheren Porträt und Hinweisen auf seine nächsten Bühnenauftritte auch die Links zu Leseproben aus den Fossil-Bänden.
Respekt für deine Leistung, lieber Andi. Ich denke, jeder sollte seine Fossil Geschichte geschrieben haben, bevor er selbst zu einem wird. Du hast es geschafft.