Mark Brandis – eine Hommage (I)

Vor einigen Tagen habe ich auf Twitter und in meinem privaten Umfeld eine  Umfrage durchgeführt, wie groß denn der Einfluss der Buchserie Mark Brandis auf deutschsprachige SF-Fans war und ist. Das Ergebnis hat mich nicht sonderlich überrascht. Ich weiß ja von mir selbst, wie gerne ich „Mark Brandis“ als Jugendlicher gelesen habe.
Es ist tatsächlich so, daß diese Serie, von Nikolai von Michalewsky konzipiert und geschrieben, viele Jugendliche beeinflusst und sogar geformt hat. Mark Brandis war oftmals die Einstiegsdroge, und nach Aussagen vieler Bekannter und Freunde „funktionieren“ Michalewskys Romane beim wiederholten Lesen immer noch, sogar mehrere Jahrzehnte danach.

Eva Waiblinger ist als Autorin höchst begabt und mit unglaublich viel Wortwitz ausgestattet. Ich hatte schon mehrmals das Vergnügen, sie bei meinen Schreibcamps begrüßen zu dürfen. Sie hat sich intensiv mit Mark Brandis auseinandergesetzt und darüber einen Bericht geschrieben. Aufgrund der Textlänge splitte ich ihren Beitrag in drei Teile. Im dritten Teil kommt dann auch Bestseller-Autor Andreas Gruber zu Wort, den Eva zu Mark Brandis interviewt hat.

Viel Spaß beim Lesen!

„Das vom Fortschrittswahn berauschte Zwanzigste Jahrhundert hatte uns sein tödliches Erbe hinterlassen, leichtfertig, skrupellos, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob wir, die Nachkommen, es überhaupt wollten.“

Worte von Greta Thunberg am WEF in Davos? Gut möglich. Tatsächlich ist dieses Zitat bereits 45 Jahre alt. Es stammt aus dem Roman «Operation Sonnenfracht» von (und mit) Mark Brandis. Hinter dem Pseudonym des Ich-Erzählers Mark Brandis steckt der Brandenburger Autor Nikolai von Michalewsky, was seine Fans allerdings erst 1998 an einer Convention erfuhren, kurz vor Michalewskys Tod. Von 1970 bis 1988 verfasste er insgesamt 32 Bände der „Weltraumpartisanen“, einer Science Fiction-Serie für Jugendliche.

Brandis Herder Verlag
Das „alte“ Titelbild des Herder Verlags

Für unzählige Leserinnen und auch für angehende Autoren waren die Raumabenteuer von Mark Brandis die Einstiegsdroge in die Science Fiction. Wann mich die Brandis-Sucht gepackt hat, weiß ich nicht mehr genau, wohl während der Primarschule. Jedenfalls war ab dem Zeitpunkt klar, was unter jedem Christbaum liegen würde und wofür mein gesamtes Taschengeld draufging. Trotzdem reichte es nicht für alle Bände, bis sie beim Herder-Verlag vergriffen waren. Könnte auch sein, dass irgendwann meine Interessen abdrifteten, Richtung Science, minus die Fiction. Die Bände selbst gingen leider bei einem Umzug verlustig.
Ende der Story für mich und Commander Mark Brandis? Zum Glück nicht.

Vor drei Jahren habe ich entdeckt, dass es die Bände schon seit längerem beim Wurdack-Verlag als E-Book gibt, und zwar alle, auch die, derer ich damals im helvetischen Hinterland nicht hatte habhaft werden können. Da war’s wieder um mich geschehen. Innerhalb weniger Wochen verschlang ich sie alle. Was ist an diesen Romanen dran, dass sie nicht nur Jugendliche, sondern auch ältere Semester dermassen in den Bann ziehen?

Zuerst mal: Von Michalewsky schrieb verdammt gute Stories. Und er schrieb verdammt gut. Auch wenn manche technische Aspekte in den Romanen mittlerweile altmodisch anmuten, wie beispielsweise das mühsame Füttern des Navigationscomputers mit Lochstreifen, so lese ich jetzt mit einem Anflug von Nostalgie einfach darüber hinweg. Die Themen der Romane dagegen sind auch heute noch brandaktuell. Ich möchte Aktualität und Sprachhandwerk an zwei der Romane zeigen, die mich als Teenie besonders gepackt haben, und es immer noch tun: „Operation Sonnenfracht“ und „Der Spiegelplanet“.

In „Operation Sonnenfracht“ muss sich die Menschheit von 2075 mit den radioaktiven Abfällen herumschlagen, die ihre Vorfahren im Krater des scheinbar erloschenen Kilimandscharo endgelagert haben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine Serie von Erdbeben rund um den Globus lässt den Vulkan jedoch wieder aufmucken. Er droht, die ganze strahlende Suppe über Afrika auszuspucken. Im Wettlauf gegen Zeit und Vulkan versuchen Commander Mark Brandis und seine Mannschaft, die radioaktiven Abfälle in alte Klappermühlen von Raumschiffen abzufüllen und in die Sonne zu schießen.

„Operation Sonnenfracht“ las ich, als gerade radioaktive Wolken aus Tschernobyl Richtung Europa zogen. Wir hingen gebannt am Radio, TV gab’s nur bei den Grosseltern – wo dann zu allem Übel auch noch „Das letzte Ufer“ lief, die Verfilmung von Neville Shutes Roman über die atomare Apokalypse. Das bescherte mir dann doch einige schlaflose Nächte. Ich kann „Sonnenfracht“ jetzt noch nicht ohne flaues Gefühl im Magen lesen.

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Nikolai von Michalewsky in späteren Jahren

Momentan ist zwar die Entsorgung von Atommüll nicht unbedingt das Schlagzeilenthema, trotz baldigem Rückbau unserer Schweizer Bröckelbuden von Atomkraftwerken. Das drängendere Problem, Greta wieder, sind die Treibhausgase. Nur lassen sich CO2 oder Methan nicht einfach so abfüllen und auf Sonnenkurs schicken. Sie sind überall, müssten erst mühsam aus der Luft gefiltert werden. Das Erbe, das meine Generation hinterlässt, wird den Commander Brandissen der Zukunft genauso schlaflose Nächte bescheren wie im Roman. Ich hoffe nur, dass wir die Kurve kriegen, dass am Schluss nicht ein galoppierender Treibhauseffekt die Erde in eine Kohlendioxid-Hitze-Hölle wie die Venus verwandelt, denn leider haben wir keinen identischen „Spiegelplaneten“ auf der anderen Seite der Sonne in Reserve.

Beim ersten Lesen der Romane hatten mich trotzdem weniger die Umweltthemen gepackt denn die spannenden Abenteuergeschichten und exotischen Schauplätze. Beim Wiederlesen der Romane fiel mir vor allem eines auf: Von Michalewskys Sprache ist direkt, schnörkellos und doch hochpoetisch. Ich möchte dies an ein paar Textbeispielen zeigen. Protagonist Mark Brandis ist wegen langwieriger Raummissionen manchmal für Monate von seiner Frau Ruth O’Hara getrennt. Oft weiss er nicht, ob er sie je wiedersehen wird: „Vor meinem inneren Auge wehten rote Haare vorüber, ihr Gesicht, der Klang ihrer Stimme: Ruth O’Hara. Nie mehr? War ich für sie unwiederbringlich ins Weltall entglitten?“ („Der Spiegelplanet“)

In „Operation Sonnenfacht“ kriselt es zwischen den beiden, weil Brandis in 25-Stunden-Schichten den Vulkan zu bändigen versucht, seiner Frau aber wegen Geheimhaltung nichts davon erzählen darf. Mir gefällt, wie von Michalewsky das Erkalten ihrer Beziehung beschreibt, die Knappheit und Klarheit seiner Sprache, die doch einen enormen Zug ausübt und stark auf Rhythmus und Satzmelodie baut. Oft arbeitet von Michalewsky mit gezielt gesetzten Wiederholungen.

„Ruth blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich bin mit dem Mann im Mond verheiratet!“, sagte sie. „Geh nur! Grüß mir die Sterne, grüß mir deine Maschinen.“ (…) Ich kletterte in den Transporter, und dieser setzte sich in Bewegung. Ich winkte. Ruth O’Hara winkte nicht zurück. Das hatte es noch nie gegeben. An unserer Ehe nagte die Entfremdung.“ („Operation Sonnenfracht“)

Oder aus „Der Spiegelplanet“: „Danach sah ich auf die Uhr. Die Zeit lief. Sie lief uns davon.“

Die Fortsetzung von Evas Essay zu Mark Brandis folgt morgen.

 

Die Bilder sind © http://www.markbrandis.de bzw. http://www.vonmichalewsky.de

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. Columbus sagt:

    Schöner Bericht. Obwohl ich altersmäig genau in der Zielgruppe war und 1970 als Zwölfjähriger meinen ersten PERRY-RHODAN-Roman gelesen habe, habe ich nie einen MARK BRANDIS gelesen. Da ist mir wohl etwas entgangen, oder?

    1. mmthurner sagt:

      Ich denke schon. Ich bin der Meinung, daß die Serie auch heute noch funktioniert.

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