Mark Brandis – eine Hommage (II)

Vor einigen Tagen habe ich auf Twitter und in meinem privaten Umfeld eine  Umfrage durchgeführt, wie groß denn der Einfluss der Buchserie Mark Brandis auf deutschsprachige SF-Fans gewesen wäre und immer noch sei. Das Ergebnis hat mich nicht sonderlich überrascht. Ich weiß ja von mir selbst, wie gerne ich „Mark Brandis“ als Jugendlicher gelesen habe.
Es ist tatsächlich so, daß diese Serie, von Nikolai von Michalewsky konzipiert und geschrieben, viele Jugendliche beeinflusst und in ihren Lesegewohnheiten geformt hat. Mark Brandis war oftmals die Einstiegsdroge. Nach Aussagen vieler Bekannter und Freunde „funktionieren“ Michalewskys Romane beim wiederholten Lesen immer noch, sogar mehrere Jahrzehnte danach.

Eva Waiblinger ist als Autorin höchst begabt und mit unglaublich viel Wortwitz ausgestattet. Ich hatte schon mehrmals das Vergnügen, sie bei meinen Schreibcamps begrüßen zu dürfen. Sie hat sich intensiv mit Mark Brandis auseinandergesetzt und darüber einen Bericht geschrieben. Aufgrund der Textlänge splitte ich ihren Beitrag in drei Teile. Im dritten Teil kommt dann auch Bestseller-Autor Andreas Gruber zu Wort, den Eva zu Mark Brandis interviewt hat.

Hier geht es zum ersten Teil: Mark Brandis – eine Hommage (I)

In „Der Spiegelplanet“ entdecken Commander Brandis und seine Leute auf der Rückseite der Sonne Mir, den Zwillingsplaneten der Erde (muss ja nicht gleich ein Zwillingsuniversum sein …): „Auf dem schwarzen Samt der Unendlichkeit lag Mir wie ein blauer Diamant: Spiegelbild der Erde, zu der die Kronos auf dem Wege war.“

Auf Mir leben die Menschen eingesperrt in der Grossstadt Magnoville, kontrolliert von der Gigantfabrik BIG MOTHER, die sie mit allem versorgt, was sie benötigen, und mit noch viel mehr Nutzlosem, zum Beispiel ein paar Millionen Jojo-Spielen, für jeden Einwohner eines. Arbeit dagegen ist verboten, ebenso Ausflüge in die Natur jenseits der Stadtgrenzen. «REICH – SATT – GLÜCKLICH» hätten sie zu sein, hämmert BIG MOTHER den Menschen von Mir ein. Von Michalewsky schildert eine von Konsum übersättigte Wegwerfgesellschaft, träge, gelangweilt, unglücklich. Parallelen zu heute sind frappierend, man braucht nur an einem Samstag die Zürcher Bahnhofstrasse hoch zu flanieren. Wenn man überhaupt an all den mit Tüten und Paketen beladenen Konsumwütigen vorbeikommt. Kaufen, konsumieren, wegwerfen, Neues kaufen – Magnoville könnte Zürich sein, oder London, oder New York, oder – sorry liebe Wiener, Wien. Mit Worten malt von Michalewsky das Bild einer Stadt, die unter dem Abfall ihrer Bewohner ersäuft – bei ihm steckt Poesie selbst in Wanderdünen aus Müll: „Über die Müllhalde von Magnoville pfiff ein frischer, klirrender Wind; er wirbelte Papier und allerlei Unrat auf und trieb schwarze Plastikfolien als bizarren Trauerflor vor sich her. Die Müllhalde war die Kehrseite von BIG MOTHER: das gespenstische Schlachtfeld einer in ihren Abfällen ertrinkenden Zivilisation. So wie auf unserer Erde in manchen Teilen der Sahara noch immer die Dünen unaufhaltsam vorrücken und eine Oase nach der anderen unter sich begraben, so brandete diese Müllhalde gegen die Stadt: ein alles verschlingender, alles unter sich begrabender Moloch. Den ersten Sieg hatte er bereits errungen: Aus dem Schutt des Wohlstands ragten geborstene Mauern und verwitterte Giebel – stumme, anklagende Zeugen eines im Müll untergegangenen Stadtviertels. Aber auch andere Teile von Magnoville waren bedroht. Wie zähflüssige Lavaströme ergoss sich der auswuchernde Unrat in die angrenzenden Straßen; die Stunde der Häuser war bereits gezählt. Ein paar Wochen noch, allenfalls, und auch sie würden geräumt werden müssen; und der Müll würde über sie hinwegwandern, um sich sodann von ihren Firsten hinab in die nächste Straßenschlucht zu ergießen – in einem unablässigen Prozess der Vernichtung. Der Tag, an dem es Magnoville nicht mehr geben würde, ließ sich erahnen.“ „Der Spiegelplanet“

Spiegelplanet altMark Brandis zettelt dann unabsichtlich eine Revolution an, indem er einer jungen Frau, Oliva, die Natur jenseits der Stadt zeigt. Überwältigt von der Echtheit ihres Erlebnisses wird Oliva zur Jeanne d’Arc, zur Weißen Rose: sie verteilt Flugblätter, um die Menschen aufzurütteln, wird aber verhaftet und auf der Flucht erschossen. Ihr jüngerer Bruder Harmon trägt jedoch die Fahne der Revolution weiter. Die allmächtigen Ingenieure von BIG MOTHER werden überrannt, die Gigantfabrik zerstört, die Menschen befreit.

„Ich rannte zum Hubschrauber, kletterte hinein und startete. Ein Wirbelwind fuhr durch den Park und ließ die ehemals weißen Kittel der Ingenieure flattern. Die Ingenieure sahen aus wie zerbrochenes Spielzeug, und als der Hubschrauber abhob, fielen die Kittel über ihre Gesichter wie Leichentücher.“ „Der Spiegelplanet“

Man könnte von Michalewsky vorwerfen, dass bei ihm Protagonist und Raumschiffcrews immer nur Männer sind, doch er hat mit Ruth O’Hara, und nicht zuletzt mit Oliva starke Frauenfiguren geschaffen. Ich musste früher heulen, ich heule noch jetzt beim Tod von Oliva, der tapferen, mutigen Oliva, die den Menschen die Augen öffnen und sie aus der Sklaverei des Konsums befreien wollte.

„Oliva wurde plötzlich schwer. Ich bettete sie, so gut ich konnte, und schob ihr meine Jacke unter den Kopf. Sie bewegte die Lippen. „Mark … lass Mir nicht im Stich! Bitte …“ Ich kniete neben ihr. Sie blickte zu mir auf, lächelte – und dann erlosch in ihren Augen der Glanz. Über ihrem Haar kreiste ein weißer Falter. Er kreiste und stieg höher und verlor sich im gleißenden Licht der Sonne. Lieutenant Stroganow sagte rauh: „Sir, so leid es mir tut – wir müssen weiter!“ Ich raffte mich auf. Durch einen Schleier von Tränen sah ich den wartenden Wagen. Ich sah Oliva. Dann sah ich nichts mehr.“

Auch für Oliva gilt der der Leitspruch der „Weltraumpartisanen“: „Woran du glaubst, dafür sollst du leben und sterben.“ Das machte mir als Jugendliche mächtig Eindruck. Wobei mir dann aber doch lieber war, dass das mit dem Sterben nur zwischen Buchdeckeln geschah.

nikolaiDie Mark Brandis-Romane haben alles, was ein Autor sich von einem erfolgreichen Werk wünschen kann: Sie ziehen die Leserin in den Bann und lassen sie nicht mehr los, bis das hintere Cover zugeklappt ist (und die Süchtige dann sogleich den nächsten und den übernächsten und überübernächsten Band bestellt). Die Romane bleiben in Erinnerung und hallen nach, oft noch Jahrzehnte und Generationen später. Sie haben Bestand. Und vor allem: Die Romane haben Autorenkarrieren angestossen! Dazu mehr im nächsten Beitrag, einem Interview, das ich mit Schreibcamp-Co-Leiter und Bestsellerautor Andreas Gruber geführt habe.

Weiterführende Informationen:

Sämtliche 32 Bände der „Weltraumpartisanen“ sind erhältlich als Taschenbuch oder e-Book beim Wurdack Verlag.

Die ausgezeichneten Hörspiele zu dieser Romanserie gibt es als CD oder als Download bei gängigen Portalen (iTunes, Audible) zu kaufen. „Der Spiegelplanet“ ist einer der wenigen Bände, die nicht als Hörspiel umgesetzt wurden. Zusätzlich gibt es die Hörspielserie „Mark Brandis, Raumkadett»“ die chronologisch vor der Romanserie spielt.

Übersicht: Hörspiele Mark Brandis

Einen ausführlichen Artikel über Nikolai von Michalewsky hat Olaf Brill für das Magazin „Phantastisch!“ verfasst: „Weltraumpartisan aus Berlin. Nikolai von Michalewskys Jugendbuchreihe MARK BRANDIS“
Teil 1 in Ausgabe 4 (2016), S.24–32, inklusive Interview mit Balthasar von Weymarn, verantwortlich für die Umsetzung der Hörspielserie, und Michael Vogt, Zeichner der Brandis-Comic-Alben.
Teil 2 in Ausgabe 1 (2017), S.20–27, inklusive Interview mit Reinhild von Michalewsky, der Witwe von Nikolai.

Die Hefte sind erhältlich unter: Phantastisch!

Die verwendeten Bilder sind © http://www.wurdackverlag.de bzw. http://www.vonmichalewsky.de/

 

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