Da war da dieser Finne. Er schien einem Film von Aki Kaurismäki entsprungen zu sein. Er hatte sein Zelt 20 Meter von mir entfernt aufgebaut, saß mit einem Plastiksackerl (Plastiktüte) in der Hand neben seinem Motorrad, einer modernen BMW 1250 GS, und starrte ins Leere. Ab und zu wischte er sich eine Strähne seines wirr wachsenden Haares aus der Stirn, bevor er erneut ins Sackerl griff und eine weitere Bierdose in einem Zug ausleerte.
Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Ich war mit Zeltaufbau beschäftigt – und damit, die grandiose Umgebung zu bewundern. Ruhiges und flaches Wasser, Nadelbäume bis zum Uferrand hinab und eine Sonne, die freundlich auf uns herablachte. Ich machte einige Photos und setzte mich dann bedauernd an einen Holztische des Campingplatzes, um mich der Arbeit an einem Manuskript zu widmen. Etwa eine Stunde später, der Tag war schon weit fortgeschritten und ich mit meiner Arbeit gut vorangekommen,, meldete sich der Finne bei mir mit einem saftigen Rülpser an. In radebrechendem Englisch fragte er, ob ich ihn nicht auf die andere Seite jener Halbinsel begleiten wolle, auf der wir gerade säßen. Dort gebe es eine herrlichen Blick auf den beginnenden Sonnenuntergang. Er holte eine weitere Bierdose aus dem Plastiksackerl hervor und grinste schief.
Noch schöner als hier?, fragte ich zweifelnd.
Noch schöner als hier, bestätigte er und leerte die Dose. Nimm dein Handy mit, wenn du Fotos machen möchtest.
Na gut. Ich packte meine Sachen zusammen und folgte dem Finnen. Es folgte ein kurzer Spaziergang durch ein kleines Waldstück, hin zu einer felsigen Uferlandschaft, mit einem Blick auf eine weite Wasserfläche.
Fuck, sagte ich, das ist tatsächlich schöner als auf der anderen Seite.
Ja. Fuck. Hier ist es schöner als auf der anderen Seite.
Er ließ sich auf einem der Steine nieder und bediente sich, ehschowissen, aus dem Plastiksackerl, während ich den Ausblick auf mich wirken ließ. Es lässt sich nicht in Worte fassen, was ich dort gesehen habe. Die Bilder weiter unten geben die Schönheit der Landschaft nur ansatzweise wider. Es war diese ganz besondere Mischung aus Licht, Wolken, menschenfreier Umgebung und einem Gefühl entspannter Gelassenheit, das ich in mir fühlte. Dies alles passte zusammen und bescherte mir eine der schönsten Momente während meiner Reise hoch zum Nordkapp.
Ich versuchte, jeden Aspekt dieser wunderbaren Landschaft in Bildern festzuhalten. Der Finne fotografierte mich auf meine Bitte hin mit schrecklich verlaufenden Augen, widmete sich anschließend einer seiner wenigen verbliebenen Bierdosen und sank mit dem letzten Schluck hintüber, um übergangslos zu schnarchen zu beginnen. Ich ließ ihn liegen. Er wirkte zufrieden, mit sich selbst im Reinen. Er grinste im Schlaf.
Viel später hörte ich ihn in sein Zelt torkeln, die nächtliche Kälte hatte ihn geweckt. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns voneinander und fuhren unseres Weges. Er zurück nach Helsinki, ich weiter hoch Richtung Norden. Wir hatten vielleicht 30 Worte miteinander gewechselt – und dennoch einen sehr schönen Augenblick geteilt.
Ich konnte nicht widerstehen und habe eine finnische Internetbekanntschaft befragt, ob da gerade einem SciFi-Autor die literarischen Sicherungen und die Fantasie durchgegangen sind, wieviel Legende, wieviel Wahrheit ist. Erst einmal hat er es gelesen, aber erst am nächsten Morgen geantwortet: „Well, he started it. Otherwise the Finn would have posted about a chatty Austrian that wouldn’t even let a guy get drunk in peace.“ Das war die ganze Antwort. Der „he started it“ bezieht sich nach Nachfrage auf den Finnen. Anscheinend hast du etwas richtig gemacht: Wenn ein Finne mit Bier oder Schnaps an einem See hockt, dann möchte er genau das machen: An einem See trinken.Nun habe öfter gelesen und auch schon diskutiert, das Finnen Alkohol ganz, ganz schlecht vertragen. Auch die anderen Skandinavier nicht, passt irgendwie nicht so zum Nordmann-Image. Ich habe den Eindruck, Finnen sind trotz dieser in unseren Augen etwas prolligen „Saufen/und/oder/Fischen am See“ Freizeitgestaltung ziemlich perzeptiv und machen nicht gerade den Sokrates mit „Sprich, damit ich dich sehe“. Anscheinend beobachtet man eher das Verhalten der anderen Person und ist nicht direkt und aufdringlich. So werden wir Deutschen übrigens gesehen, Italiener kennen die Finnen zum Glück anscheinend nicht. An diesem Finnen als große Schweiger Klischee ist sehr viel dran! Ich habe oft den Eindruck, sie denken mehr und gründlicher nach. Finnischen Humor verstehe ich nicht so ganz. Einmal wurde ein total besoffener Finne gepostet, das war irgendwie witzig – für Finnen. Aber weder ich noch andere, auch Amerikaner, verstanden das. Na dann, noch viel Spaß im Land der Stille. Ich glaube, in so einer Landschaft hält man irgendwie ganz von selbst die Klappe.
Ich hab auf dieser Reise mit mehreren Finnen Bekanntschaft gemacht. Sie kamen zum Lachsfischen „rüber“ nach Norwegen und sie blieben wie ich auf Campingplätzen. Mit dem Motorrad, mit dem Auto, mit dem Wohnmobil. Mit einem von ihnen habe ich eine Stunde lang über seine Fangerfolge geplaudert, er war höchst mitteilungsfreudig. Ein Pärchen ist kurz vor Mitternacht (es herrschte die ganze Zeit Dämmerlicht) fischen gegangen und am nächsten Vormittag ins Zelt zurückgetorkelt. Die Kommunikation beschränkte sich auf ein, zwei Worte.
Worauf ich hinausmöchte: Ich hatte viele Begegnungen, und jede war auf ihre Art interessant oder bemerkenswert. Aber keine war wie die andere.
Mein Blog-Artikel spielt natürlich mit dem Klischee des wortkargen finnischen Trinkers; aber wirklich wichtig ist meiner Meinung nach die ganz besondere Stimmung, die wir beide genossen haben. Die Bilder sollten ein bißchen was davon vermitteln.
Jou. Fuck. Ist das schön!
Ja, war es. Und danke für das Lob.