
Das Gefühl ist großartig: Man tippt „ENDE“ unter ein Manuskript (am besten in Versalien, das hebt die Bedeutung des Wortes enorm) und legt das Netbook erleichtert beiseite. Man hat es geschafft, man hat seine Geschichte endlich fertig erzählt und fällt müde ins Bett.
Am nächsten Tag kommt dann – wortwörtlich – das böse Erwachen. Ich blättere mit milder Begeisterung durch das Manuskript, das meinem genialen Geist entsprungen ist, lese über einige Szenen drüber, an denen ich beim Tippen besondere Freude hatte – und halte dann inne. Dieses eine Kapitel, das kann doch unmöglich von mir sein! So viele Tippfehler, so viele Verständnisfehler! Und die Anschlüsse passen überhaupt nicht! Die Personen handeln ganz anders, als ich es wollte.
Frau XY, eine Dame von besonderer Grazie und Anmut, wird zur Schreckschraube ohne Witz und Geist. Ein Schauplatz, den ich anfänglich als „Ort der besonderen Schönheit“ beschrieben habe, mutiert streckenweise zur „zerstörten Landschaft, verödet und von jedermann gemieden“.
Was ist bloß los mit mir? Bin ich blöd, leide ich unter Persönlichkeitsspaltung?
Ich setze mich in ein stilles Eckchen und weine ein Stündlein leise vor mich hin, wobei ich mir ab und zu eine Tafel Schokolade zuführe. Der Roman, mit dem ich die Leser beeindrucken und mir endlich den längst verdienten Literatur-Nobelpreis abholen wollte, ist ein schreckliches Machwerk, wie es in dreitausend Jahren Literaturgeschichte noch nie geschrieben wurde.

Irgendwann finde ich die Kraft aufzustehen, mich an den Schreibtisch zu setzen und leise vor mich hin greinend mit der Korrekturarbeit zu beginnen. Ich ahne, daß ich einige schreckliche Tage vor mir habe – aber ich habe es mir ja selbst eingebrockt. Ich hätte ja auch „was Richtiges lernen können“, wie es meine Altvorderen so schön formulierten.
Um diesem etwas launischen Text doch noch einen ernsten Anstrich zu geben: Solche Verständnis- und Anschlußfehler sind Teil des Schreibprozesses, ganz klar. Ein Manuskript wird nicht an einem Tag fertiggestellt. Vorstellungen von der Handlung, die man zu Beginn der Schreibarbeit hat, ändern sich. Schließlich liegen zwei Wochen, zwei Monate oder weit mehr zwischen den ersten und letzten getippten Worten. Die Tagesform entscheidet darüber, wie man eine Figur, einen Handlungsbogen oder einen Schauplatz sieht. Es ist nun mal unheimlich schwierig, Konsistenz in eine Erzählung reinzubekommen.
Manchmal sind es einzelne Worte, die gestrichen, ergänzt oder umgeändert werden müssen, manchmal ganze Szenen. Und das ist bei all dem Leid, das die Korrekturarbeit mit sich bringt, der positive Aspekt am Verbessern: Man ist immer der Kapitän des eigenen Schiffs – und man steuert ein Manuskript so, wie man es selbst möchte.
Vielen Dank für diesen interessanten Einblick in den Berufsalltag eines (PR-) Schriftstellers!
Und der Kapitän verlässt niemals das sinkende Schiff. 😉
Ich frage mich gerade, ob ich jetzt deprimiert oder beruhigt bin, dass es einem auch als arriviertem Autor noch so geht … Und ich bin dafür, Schokolade in die Liste der zum Schreiben notwendigen Grundausstattung aufzunehmen.
Grüße, wortschmied